Production


Image: Mein altes Soundcraft Series 1S Mischpult (ehemals Polizeimusik Basel).
 
 
 
Wenn meine Aufnahmen Holzschnitte sind, dann geht es hier um die Messer, die ich gebrauche. Es geht aber auch um mehr. Noch bevor ich meine Arbeitsinstrumente in den Händen halte, kamen ja diese aus einer Fabrikation. Das könnte eine Fabrik in China gewesen sein, oder mein Werkzeug kommt aus der kleinen Werkstatt eines Alleskönners (oder jemand, der das von sich behauptet). Dennoch geht es hier um immens viel Technik, die mich durch dieses Work in Progress begleitet. Mein Handwerkszeug: die Artefakte des Kunsthandwerks, die mir dann die Schwingungen liefern, die man so allgemein als Musik bezeichnet.
 
Ich hoffe, hier ein weiters digitales Nachschlagewerk anbieten zu können. Für mich persönlich ist es immer ein Vergnügen, nachlesen zu können, wie etwas produziert wurde. Damit biete ich hier das Nachlesen meiner eigenen Abenteuer im Land der Gestaltung an. Ich will hier gar nicht im Audiobereich stehenbleiben, es soll hier auch Papier erwähnt werden, Farben, Stichel oder aber auch das, was ich mir an Produkte der Freude zulege, wenn diese zu einer Hochachtung gegenüber der Arbeit eines Künstlers führen und zu einem Ansporn für das eigene Tun aufrufen. Jeder Tüpfelchen auf dem i erzählt eine Geschichte.
Die Bilder und Videos im Text
 
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Der Mittel Recht: Die Zeitqualität


Production — Main Index

Das Instrumentarium

     Musikalienindex

Copper & Skins

        The Gold of Percussion

Das Softwaretrapez

        Ups and Downs mit der Software

Gesamtverzeichnisse

Kleinmembranmikrophone

Großmembranmikrophone

Bändchenmikrophone
 
Projektbeschriebe

Car On Bridge Setup

        Die Brückenszene aus Kyu

James Joyce Minifestival

        James Joyce konzertant

Turkish Dido

        Wie versenkt man sein eigenes Projekt?
 

Von der kreativen Prokrastination.
 
Rules are ridiculous in something creative. – Andrew Scheps
 
Die allgemeine Ansicht zur Prokrastination ist die, daß der davon befallene alles aufschiebt, statt gleich zu machen; alles auf die lange Bank schiebt; alles auf morgen verlegt. In meinem Fall gestatte ich mir das kreative, regellose und zügellos ausgelebte Aufschieben auf ein vernüftiges (Betonung liegt auf vernünftiges) Datum. Die Dinge müssen liegen bleiben, bis sie an die Reihe kommen. Das sinnlose Gehetze, das ewige «Schnell» hat keinen Sinn, hat ausgedient. Man legt einen Schalter um. Diesen Schalter legt man nicht schnell um. Alle Handlungen bewegen sich in ihrem vernüftigen und zugemessenen Zeitmaß. Der höchste Prozentsatz an Pfusch entsteht im Huschhusch. Darum lasse ich seit letzte Weihnachten den Saustall Saustall sein und kümmere mich um ein aktuelles Area. Und dieser Bereich bekommt die volle Zuwendung. Danach steht alles auf diesem Gebiet mit Hand und Fuß da. Kreativste Schlamperei, multieffizient. Und ist gar nicht auf meinem Mist gewachsen, ich hab's im Spiegel gelesen.
 
Dann tauchen unweigerlich zwei Begriffe auf: Zeitqualität und Hingabe. Ich nahm mir den oberen Teil des sogenannten «rechten Racks» vor (so ist es am Schalter angeschrieben). Das Rack wurde neu eingerichtet, besser verkabelt und die Komponenten so aufgereiht, daß sie eine sinnvole und auch schöne Reihe bildeten. Das Auge hört mit.
 

 
Ein Suprem Guitar/Baß-Top. Der wollte mal spielen, dann wieder nicht. Also ging er zu Ronny Arber und blieb ein drei Monate bei ihm. Dann kam er wieder und war wie verwandelt. Jetzt macht er dicken und knackigen Sound, sogar mit Vibrato. Die 450 Franken Reparaturkosten habe ich mit Freudensprung bezahlt.
 
  



 
Der Nachbau eines alten amerikanischen
Miltär-Kompressors, der sagenumwobene AM-864U.
 
  
Er sah wunderbar aus, ein Weihnachtsmuß. Es ranken sich viele Sagen um den AM-864U Federal Compressor. Neil Youngs alter Produzent gebrauchte sowas und nicht nur er. Bis heute greift man auf seinen Klang zurück.
 
Das hier ist ein Nachbau eines Patrick Grenham aus New York. Aber irgendwas war faul. Eigentlich sollte er schön komprimieren, was er auch tat, versetzte aber dem Output mit einem dicken Brumm. Der Fachmann mußte her. Walter war ratlos, Toni konnte nur einen Teil des Brumms entfernen. Der Federal ging zum Ronny Arber. Und blieb dort ein halbes Jahr. Wenn Ronnie etwas in die Finger bekommt, dann braucht es lange, lange. Aber wenn es dann gemacht ist, dann ist das Gerät wie neu. Die Zeitqualität spricht: Die Zeit heilt Wunden.
 
Der Federal weist vier große Bakellit-Drehregler auf: Gain, Slope, Release und Threshold. Ein Rad greift ins andere. Es ist einmal mehr dieses Instrument des Geheimnisvollen: Ein Vintage-Kompressor. Geheimnisvoll wärmend. Zeitqualiät: Der Himmel der Crooner wird enträtselt.
 

 
Ein Philips aus Wien.
 
Im Internet findet sich zu eine Anleitung, die Kopie der Originalanleitung für die amerikanischen Soldaten, die die Maschine gebrauchten. Ja, es ist ein Kompressor für das, was schlußendlich in den militärischen Äther geschickt wird. Ein Kapitel widmet sich den Methoden, den Kompressor zu zerstören, damit der nicht in Feindeshand gerät, falls man ihn nicht in Sicherheit bringen kann. Die Vorschläge reichen von Zerhacken bis zum Gebrauch von Sprengstoff.
 
Vor vielen Jahren hatte ich diesen Philips Röhren-Mikrophonvorverstärker im Flash Music in Wien erstanden. Der immer nette Verkäufer staunte nicht schlecht über meine Begeisterung, sowas überhaupt irgendwo und dazu noch lauffähig anzutreffen und sprach: «I hob ma docht, das kauft nie jemand und Du brichst in Begeisterung aus.» Es bricht das goldene Wiener Lachen aus. Das absonderliche an dem Preamp ist, daß seine Anschlüsse auf Basis von Stromsteckern gemacht sind, also weder Chinch, noch Klinke, noch XLR. Walter hat mir an den anderen Kabelenden XLR und Klinke gemacht. Nun, mit einem dynamischen Mikrophon hat es etwas mühe (Sennheiser MD 241), verstärkt sehr schön, trägt aber auch eine Portion Grundlärm bei. Darum das Symetrix Gate untendrunter. Und den Attack ruhig ein wenig verzögert, damit's nicht so abrupt einsetzt. Die Zeitqualität spricht: Jugendklang.
 
 
 

Das Beste aus den Achzigerjahren und Farben aus Japan

 

This Mortal Coil: Blood.
 
 
Selten aber doch fällt der Menschheit etwas Kluges ein. Dazu zählen die Neuveröffentlichungen vieler klassischer Aufnahmen als Schallplatte oder als HiRes Audio Download. Vor allem: Diese neuen Platten klingen so viel besser als früher, sie sind voller und haben viel mehr Baß. Alle drei Veröffentlichungen der Formation This Mortal Coil sind neu erschienen. Sie haben auch neue Hüllen bekommen. Die Platten sind dicker, der Karton für die Hüllen ist kräftiger, das begleitende Artwork wurde neu konzipiert – luxuriöser – die Aufnahmen sind modern wuchtig abgemischt: Die Platten sind ein Hochgenuß. Das sind Schallplatten die bei mir im Regal einen Logenplatz erhalten und mir als Vorgabe dienen, wie eine Produktion daherkommen muß. https://4ad.com/artists/thismortalcoil
 
Wir haben es hier nicht nur mit exzellenter Musik zu tun, die deshalb entstanden ist, weil sich die besten Musiker aus der noch jungen Gothic-Szene in lockeren Formationen zusammengetan hatte; wir erleben hier noch dazu einen Höhenflug an visueller Gestaltung. Photographien von präraffaelitischer Schönheit und die unverwechselbare Typographie dieser Zeitepoche in den 80er Jahren fügen sich zu einem Gesamten, das uns eine der Musik kongenial entsprechende Plattenhüllengestaltung beschert. Das verläßt bei mir schon den Fünfsternebereich.
 
***
 
Ich will mich hier nicht auf das beschränken, was mit Akustik zu tun hat. Es gibt zwei weitere Gestaltungsbereiche, auf die ich nicht verzichten will: Das Bild und das Wort. Das Bild sagt natürlich oft mehr als tausend Worte, deshalb habe ich immer eine Kamera oder eine Videokamera bei mir. Und in einem Kasten eine große Schachtel voller Mal- und Zeichenutensilien, die ich regelmäßig auspacke und meine Erfahrungen und Träume, mein Innen- und Außenleben auf Papier oder ein anderes Materal banne. Auch das ist eine traditionsreiche Reflexion, die noch aus der Zeit stammt, da wir jung bis klein waren und alle, die ich kannte, nur so sprühten vor Kreativität. Und auf eine geheimnisvolle Weise wurde das auch von der Welt erwidert. Es gab eine gewisse Resonanz, die doch zum Teil im Laufe der Jahrzehnte verlorenging. Dennoch: Die Feder blieb, die Tusche, die Farben, das Papier. Aus der Nikkormat wurde eine digitale Sony, und wunschgemäß sollte das eine Leica werden, aber was das alles kostet ... Aber wenn dann ein Traumgebilde auf einem dicken Blatt erscheint, dann suche ich nach einem dicken Rahmen mit einem dicken Passepartout.
 



Sadao Hibi – The Colors of Japan.
Und hier verschwimmen die Grenzen. Betrachtet man ein Buch wie The Colors of Japan von Sadao Hibi, dann blättere ich durch Seiten, die ich schon fast höre. Ein solches Buch ist für mich schon fast hörbar. Auf vielerlei Art verschwimmen die Grenzen. Wir werden darauf hingewiesen, wie sehr Kunst und Kunsthandwerk – in diesem Fall die japanischen Bereiche – eng verknüpft sind. Zwar definieren wir oft die Bereiche der Kunst nach der Wahrnehmung durch die einzelnen Sinne, aber auch hier möchte ich Sehen und Hören nicht getrennt erfahren. Man spricht oft davon, daß man sich in einem Film befinde. So ist es hier: Mit dem erleben – zumindest im Buche der Farben Japans – ist es nur ein Herzschlag, bis man ebenso die Töne Japans erleben will. Oder aber man stimmt das eigene Tun auf das Gesehene ab: Ich jedenfalls möchte mein Tun so vergolden, wie die Farben hier auf den Seiten über Musashi herkommen (oberes Bild).
 
 
Sadao Hibi – The Colors of Japan
Kodansha International – Tokyo • New York • London
ISBN 4-7700-2536-X
 



 

 

 


 

 
Tolex in der Werkstatt / Studio in Umbau / Das Innnenleben des Audient 8024
 

Regale under Construction / Der Fredenstein F676, inside.

Kleister und Schrauben
 
So ein Studio kann eine Baustelle ohne Bauplan sein. Da man nie genau weiß, was als nächstes passieren oder auftauchen kann, hat man nur die reine Intuition als letzte Instanz und davor den klaren Menschenverstand als Hilfsmittel, wenn er nicht gerade einen trüben Moment oder zuwenig Anhaltspunkte hat. Ich konzentriere mich auf die ungetrübte Version, was äußerst nützlich ist. Eine sehr gute Vorgangsweise ist die, von der Fähigkeit in die Zukunft sehen zu können, gebrauch zu machen. Ein Element in einer Konfiguration ist manchmal nur ein Einzelstück, das ziemlich unbrauchbar sein kann, bis es – vielleicht erst nach Jahren – seine ergänzenden Teile erhält, eine Modifikation oder eine Reparatur. Also ist man darauf angewiesen, seine Sammlung so aufzubauen, daß man zwar von außen her als Messie, Krämerseele oder Nimmersatt definiert wird, auf die Länge aber etwas über Jahrzehnte aufbaut, das zu einem erstaunlichen System aufblüht. Hier gibt es kein «modern». Hier herrscht das Faustrecht des Brauchbaren, vor allem des Brillianten. Und brauchbar und erst recht brilliant ist, was spannend klingt, ob es aus einem Tonbandecho kommt oder aus dem neuesten aller neuen Plugins. Wobei in vielen Fällen das Hardware-Echo dem Plugin weit überlegen ist.
 
Immer wieder kommt es vor, daß jemand das Studio betritt und dann bemerkt: «Oh, und ich dachte, so eine Aufnahme besteht aus Spielen und Aufnehmen und das war's.» Oh nein. Es ist ein langer Weg dorthin. Oder sagen wir: Es kann ein langer Weg dorthin sein. Generell ist man auf der Suche nach einem bestimmten Klangbild, ob Musiker oder Techniker, und dieses Klangbild soll mit den bestmögichen Mitteln realisiert werden. Und dann tut man, was man kann, im Rahmen seiner Möglichkeiten. Oft ist man aber auf sich allein gestellt und versucht sich einen Reim zu machen aus all den komplizierten Mechanismen.
 

 
Teuer aber gut, gut entdeckt und günstig erstanden: Wenig bekannt ist die Firma Fredenstein, hinter dieser Bezeichnung steckt ein gewisser Fred „Fredenstein“ Schuckert, den es nach Taiwan gezogen hat, der dort seine Produkte herstellen läßt. Hochwertige Studiotechnik, die dann in Deutschland vertrieben wird. Hier haben wir den Mikrophonvorverstärker Fredenstein F676, hochwertigste Elektronik nach Vorbild des V76. Ein voll analoges Innenleben; da die Röhren kaum mehr zu haben sind, werden diese in Polen nachgebaut. Das Besondere ist die Steuerung per kleinem Display, die ist dann digital und ermöglicht uns sogar Presets. Vom Neupreis von USD 1800 bezahlte ich gebraucht im Reverb nur mehr USD 800. (Dafür verbringe ich mein halbes Leben vor dem Bildschirm.) Und heikel, heikel ist die Maschine, die verlangt nach jemand, der weiß, was und wo und wie.
 
Tolex zu entdecken war wie ein Geistesblitz. Statt wie vorher die Regale und Racks anzustreichen, mit Tolex zu überziehen, macht richtig Eindruck. Alles sieht edler aus. Und das Aussehen, der Mood und die Ambiente eines Studios trägt vieles zu einer guten Aufnahme bei. Manchmal schaut natürich alles wild durcheinandergewirbelt aus, manchmal ist alles halb zerlegt, so auch beim Zusammebau des ASP 8024 Pults. Und vieles verschwindet manchmal auf Jahre im Regal, bis es neu entdeckt, neu verknüpft und dann erst, im System mit Elektizität versehen wird.
 
Ich kann's nicht anders beschreiben: Ich lebe an einem Industriestandort.