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Im Dorfe: Mein Versuch in Unguja Ukuu zu photographieren oder zu filmen schlug
meine Motive in die Flucht. Ich könnte ihre Seele stehlen ...
Zunächst ging es um Kräftigungsbäder, Dämpfe gegen Erkältung und Tee gegen Durchfall. Weiter ging es um dialogfördernde Kräuter, danach Kletterpflanzen, um die erkaltete Liebe einer Freundin wiederzuerwecken und zum Abschluß wurde auf eine Wurzel hingewiesen, die man an einem Weg eingraben könne, um an einer untreuen Frau blutungen auszulösen, wenn sie über diese Stelle ging. Und diese konnten erst gestillt werden, wenn sie das Gegenmittel bekam. Da fiel mir doch vor lauter Schreck das Objektiv von der Kamera (was noch nie geschehen war, den ich muß gestehen, ich wußte gar nicht, wie man's abnimmt). "Ich habe es Dir gesagt, er ist heavy." sagte der Herr mit der Schnapsfahne. "Er ist ein witch-doctor."
Mzee Ame Kuamba, der Dorfarzt
und Familienberater.
Wir kehrten ins Dorf zurück und schlossen ab mit einer niedrig wachsenden Pflanze gegen böse Geister und einigen Wurzeln gegen Blähungen und Pickel. Da wir noch Zeit hatten, und noch kein Bus in Sicht war, brachte uns der Herr von der Bushaltestelle in seine Hütte. Inzwischen hatten die anderen Herren, die da Kickboxen geübt hatten, recht tief ins Glas geschaut. Nun muß man dazu wissen, daß es auf Zanzibar diesen selbstgebrannten Schnaps gibt, der mit jedem Schluck eine gute Portion Gehirnzellen verbrennt. Anscheinend hatten sie erheblich von diesem konsumiert und lagen tot auf dem Boden. Natürlich waren sie nicht wirklich tot, aber so wie sie dalagen – so vermute ich – liegen Leute da, die vom Blitz getroffen worden sind. Der ursprüngliche Herr brachte uns in seine Hütte, wo er anscheinend, man glaube es nicht, mit einer blonden Künstlerin aus Freiburg im Breisgau lebte. Die Dame bestand nur mehr aus Strähnen, vielen Knochen und etwas Haut darüber. Afrika schien wirklich anstrengend zu sein. Was sie nicht daran hinderte, an einer giraffenartigen Skulptur zu arbeiten, die in Stone Town ausgestellt werden sollte. Ihr Hinterhof war mit Wellblech eingezäunt, hinter dem die noch lebenden Besoffenen Geschrei veranstalteten und provokativ auf das Blech klopften. Der Herr von der Bushaltestelle konnte sich kaum noch beherrschen und fuchtelte mit dem Messer herum, das er die ganze Zeit bei sich gehabt hatte. "Ich weiß nicht, was die heute haben, sonst sind sie ja ganz nett." sagte die Künsterlin. Danach nahm mich noch der Herr mit dem Messer beiseite und wollte noch Geld für seine "Führung". Natürlich konnte ich ihm nicht mehr geben, als der Hexenmeister bekommen hatte, und das mußte er doch einsehen, denn wenn dieser draufkam, dann bekämen wir es ja alle mit ihm zu tun. Was der Herr mit dem Vollrausch und dem scharfen Messer halt auch einsehen mußte. Und dann schnell weg, als der Bus kam und vollbeladen wurde, sodaß die Hälfte der Ladung wieder runterfiel, aber hauptsache weg. Nett hin, hett her, aber too much Schnaps ist halt too much Schnaps, und ein Messer vor mir und einen Schraubenzieher hinter mir kannte ich schon aus Brasilien.


Abendstimmung in Stone Town.

Taschengeld aus Afrika


Aus Sissi läßt sich in Afrika blicken, schließlich hat der Dunkle Kontinent ihre Salzstangerln mitfinanziert.


Die österreichischen Herrscher, hier der Franzl.
Tja, wie kommt man an noch mehr Taschengeld? Der Kolonialismus machts möglich. Auch Kaiser Franz Josef und seine Sissi haben ihr Geldbörsel mit allerlei undurchsichtigen Tantiemen gefüllt. Wenn's was zum Verdienen gibt, ist man mit dabei.

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Annies Hund. Klein und wild und
leider zu zutraulich. Wenn man sich
nach der Berührung mit einem Hund
nicht sorgfältig wäscht, fällt der
Moscheebesuch ins Wasser.
Annie hatte sich zwei Hunde gekauft. Einige Zanzibaris hatten sich gedacht: Wir machen uns ein wenig Geld damit, ein paar Hunde zu verkaufen. Also hatte Annie das, was da in der Schachtel lag und als Hunde verkauft wurde, nach Hause genommen und ausgepackt. Da das Hundeleben auf Jamaika immer noch einfacher ist als das Hundeleben in Afrika, war das was sie da auspackte ein Drei-Komponenten-Einkauf: einmal Haut, einmal Knochen und einmal Würmer. Und das mal zwei. Was dann zu zweit in einer Ecke saß und zusammenzuckte, wenn sich etwas bewegte. Nun, mit der Zeit wurden aus den beiden Knochenhaufen tatsächlich zwei Hunde, die nichts mehr liebten als "tummy-rubbing" und liebend gerne auf dem Sofa saßen und den Fernseher beobachteten. Nun gibt es tatsächlich auf Zanzibar einen eigenen Fernsehsender, den sie binnen einiger Monate aus dem Nichts entstehen ließen. Ich konnte aber den Regionalsender von den anderen Sendern aus sprachtechnischen Gründen nicht wirklich unterscheiden, und die Politiker, die in Anzug und Krawatte von der Dicken Limo zum Ventilator liefen, um eine Eröffnungs- oder Selbstbeweihräucherungsrede zu halten, kannte ich natürlich auch nicht. Einer dieser Hunde war anscheinend während der Parlamentsdebatte eingeschlafen, öffnete die Augen, machte den Eindruck, äußerst komplizierte Gymnastik mit seiner Speiseröhre zu vollziehen, und kotzte drauflos auf das Sofa. Was augenblicklich die Pforten der Hölle zu öffenen schien, denn von woanders konnte ich mir den Gestank nicht vorstellen. Was meinen afrikanischen Fernsehabend mit einem Schlag beendete. Ich ging schlafen und nächstentags machte ich Annie auf die Kotztüte aufmerksam. Sie blickte ihren Hund an und sagte. "Ohh. What's wrong with you? Are you poorly?"
Im Africa-House trifft sich England, Irland und auch alles andere Land und bezahlt anständig für ein Guinness. Davon könnten sich die Zanzibaris zwei bis drei Hosen kaufen. Und von dort aus blickt man, wenn man sich wie ich, nicht für die Verrückten interessiert, die auf der Großleinwand einem Ball nachlaufen, über das kleine Wasser und erblickt dort am Horizont die Küste Tanzanias. Zanzibar gehört zu Tanzania, was gar nicht so schlecht ist, denn Tanzania ist ein relativ wohlhabendes afrikanisches Land, und damit muß es nicht als total verarmter Kotzbrocken dastehen, wie viele der vergessenen afrikanischen Länder. Und außdem kommen die Europäer hierher, nach der Safari in Kenia, so als Zusatz zum Chillen. Also kommt regelmäßig der Tanker von dort und bringt Sprit. Und dieser Tanker wurde anscheinend von einem Herren aus Deutschland mitkonstruiert, der schon lange in Afrika verweilte, und der auch an diesem Abend im Africa-House sein kühles Bier genoß. Die Gefährlichkeit Nigerias hatte er mit Links überstanden, so erzählte er mir, da er immer seine drei Begleiter bei sich gehabt hatte, geladen und nötigenfalls entsichert. Eine nützliche Angewohnheit, die er während seiner Tätigkeit bei der GSG9 erlernt hatte. Mache schwärmen davon, bei Woodstock dabei gewesen zu sein. Andere hatten anscheinend Mogadishu miterlebt.
Aber was passiert, wenn der Tanker ausbleibt? Die Auswirkung ist so logisch wie einfach. Ohne Sprit lauft nichts, die Insel bleibt stehen. Die Tankstellen sind leer. Die Dalla-Dallas (Kleinbusse) laufen nicht. Der Verkehr erlahmt. Es hat keinen Strom mehr. Die Menschen kommen von den Ländereien nicht auf den Markt, der Markt hört auf zu existieren, es gibt nichts mehr zum Einkaufen. Annie wird als weißer Parasit beschimpft, weil sie als Stammkundin Benzin bekommt und die Schwarzen anstehen müssen und praktisch nichts bekommen. Sie macht sich schnell aus dem Staub und klaubt noch an einigen Stellen Leute auf, die ins Spital müssen, unter anderem eine Mutter mit ihrem Kind, die anscheinend schon zwei Tage unterwegs ist (auf einer winzigen Insel wie Zanzibar!). Hier zeigt sich wieder, wie wenig es braucht, die Armut noch weiter auf die Spitze zu treiben.
Nach einigen weiteren Seiten aus "Wanderwege aus dem Helenetal" beschloß ich, die Musik auf Zanzibar zu erkunden. Zanzibar ist die Wiege des Taarab, einer eigenwilligen, orchestralen Mischung aus afrikanischer und arabischer Musik. Sie ist wie alles auf Zanzibar, gut durchmischt, denn Zanzibar ist eine Insel zwischen Afrika und der arabischen Welt. Das Ur-Taarab wurde anscheinend vor langer Zeit (wer weiß es genau?) mit dem Schiff nach Zanzibar gebracht und erfreute sich anscheinend in seiner Ur-Form sogar der Tabla-Begleitung. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Taarab, das heute gepflegt wird. Manchmal in kleinen Formationen gespielt, manchmal in voller orchestraler Besetzung. Zunächst einmal suchte ich die Dow Country Academy of Music auf. Dort wurde ich freundlichst aufgenommen und konnte ungehindert filmen und interviewen. Ich will an dieser Stelle nicht näher auf das dort Aufgenommene eingehen, die Filme sprechen für sich selbst.
Während einer Heimfahrt vom Africa House zum Botanic beobachtete ich, wie ein Schwarzer einem Weißen nachlief, um ihm eins über die Rübe zu hauen, was einen weiteren Ratschlag auslöste: "Serves him right for socializing with junkies." Am rückwertigen Teil des Africa House, das an der Küste gelegenen Teils von Stone Town stand, befand sich ein Lokal, das tagsüber ein normales Café war und abends der Junkie-Treff.
Auf Zanzibar hat es drei Bands, die relativ schlabbrige Musik machen und sich die Zeit der Engagements als Tanzkapellen zyklisch untereinander aufteilen. Die Sängerin der einen Band trägt kein Kopftuch und trägt Schminke. Damit gilt sie für die islamischen Frauen als Hure. Eine andere Dame, Sara (Name geändert), arbeitet tatsächlich als Hure. Sie hat zuhause ein dreijähriges Töchterchen, während diese schläft, ist sie unterweges und holt sich die zahlungskräftigen Touris und saugt sie aus. Sie sagt, sie habe ihr Leben in die eigene Hand genommen und kümmert sich um keine Konventionen. Das Geld will sie in die Ausbildung ihrer Tochter investieren.
... und wieder dieses Gefälle.
Es ist immer tragisch wohltuend, zu reisen. Die Tür des verwöhnten Alltags schließt sich hinter mir. Dieser Schließvorgang findet zur Abreise statt. Blockhead steigt ins Taxi und fahrt zum Bahnhof. Dort fährt er nach Zürich und steigt ins Flugzeug. Da sieht er einen Haufen Schicki-Mickis auch ins Flugzeug steigen. Und wenn sie aus Japan zurückkommen und maßloß übertrieben haben, dann stehen sie in Frankfurt im falschen Film und heulen sich die Gothic-Schminke aus den Augen. Aber sobald Blockhead am Flughafen in Mombasa Wartezeit hat, spürt er wieder die vielen Schicksale, die sich hier kreuzen. Schwarze und Weiße und Muslims und Hindus (es hat auf Zanzibar anscheinend einen wunderbaren Hindutempel, den ich mir leider entgehen habe lassen) und Christen und ... hat es eigentlich noch Marxisten? Wahrscheinlich sowieso nicht mehr auf der Welt. Und so wie ich das beurteile, erfährt der größte kommunistische Staatt der Erde seine Wiedergeburt in den Ultra-Kapitalismus. Aber all das sind nur Etiketten, deren Aufschrift dann verblassen, wenn es darum geht, nur glücklich oder zufrieden zu sein. Dazu gehört manchmal nur eine Packung Babypuder für die wunden Füße.

Computerladen in Stone Town:
Norton Antivirus 2005 war aktuell.
Und der ganze Hype verschwindet. Es kann während eines solchen Aufenthaltes ein paar Wochen gehen, bis man sich der Reizüberflutung soweit entziehen kann, daß das Poltern der Taxifahrt über die löchrigen Straßen überhaupt wahrnehmbar wird und alle diese fremden Wesen, die da nach Einbruch der Dunkelheit an den Essenständen stehen und gestikulieren mehr sind als der Auslöser der Frage: "Wie komme ich bloß in diesem Film?" Denn der Film hört auf Film zu sein, und es gibt kein wegzappen und die dunklen Gestalten können angesprochen werden und jedes interaktive Game wird zur Geste der Lüge in einer gewinnorientierten Gesellschaft, in der für Millionengagen ein Kevin Costner Helden spielt, die dem willig zahlenden Publikum ein abenteuerliches Leben vorgaukeln. Bullshit und schade um den Aufwand. Die wahren Abenteuer sind nicht im Kopf, sie sitzen auf dem Zahnarztstuhl in Dar Es Salaam und freuen sich, daß jemand Hundert Dollar spendiert hat, um einen schwarz gewordenen Zahn zu ersetzen. Damit kann das Fräulein, das sich so geschämt hat wegen des verfaulten Zahns, wieder ganz normal lächeln und das Leben hat sich verändert. Und wem das nicht genügt, soll nach Nigeria gehen und schauen, wie gut er mit der Winchester umgehen kann.
Zusammengefaßt: Mit jeder Flugmeile verlasse ich die virtuelle Realität unseres von Medienmüll drangsalierten Alltagslebens, das in einer mühsam zusammengesuchten Kultur Lebenssinn sucht. Das Leben braucht keinen Sinn, auch keinen künstlichen. Es ist da, und wenn ich aus Zanzibar ausreise, und der Herr am Gepäckabfertiguns-Schalter bittet mich darum, ihm irgendwas zu geben, was auch immer, dann habe ich damit meine Gebühr zur Ausreise von der Realität bezahlt.
Links eine Bar an der Ostküste, rechts das Interieur des Africa House.
Für jeden Geschmack etwas: Für die schwarzen und weißen Rastas hat es immer irgendwo eine Regge-Bar mit den dazugehörigen Bob Marley-Pinseleien und recht ungelekte "Africa Unite"-Malereien und dazu ein kühles (unislamisches) Bier. Die gehobene Gesellschaft (Heathen back there, on the wall ...) schlürft ihren gepflegten Whiskey im Africa House und blickt rüber zum Festland Tansanias.
Rechts: So manches Bauvorhaben wurde nicht wirklich vollendet. So zeigte mir Dissman diese Stelle im Osten der Insel (Bwejuu), wo er an einem Haus mitgearbeitet hatte, das nie fertig wurde. So steht dieser Thron vereinsamt in der Gegend.

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