Image: Hawaiianischer Kapastoff. Culture Line Home Die schöne Kunst der Verkleidung.
«God made man. But tailor makes gentleman.»
Huffy Bhai – aus Jhoom Barabar Jhoom
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s steht schon längst außer Frage, daß das Mischpult sowie auch die vielen elektronischen Klangveredelungs- und Klangverhunzungsmaschinen inzwischen zum Instrumentarium des Musikschaffenden gehören. Zeichenfeder, Scanner, Videoschnittplatz, 3D-Applikationen und Bildbearbeitungssoftware zum Rüstzeug der Erschaffer der unendlich vielen Serien, die bereits in diversen Geschwindigkeiten angeboten werden, damit wir der Flut durch vorspulen Herr werden. Und ... machen wir uns ein großes UND daraus: Hinter allem verborgen scheinen jene zu sein, die für die angemessene Kleidung der Weltraumhelden sorgen.
«Maybe you should tell someone.» Giovanni 1981.
Gut und elegant gekleidet – nach
Möglichkeit. Nicht aber die übliche
Herrengarderobe. Eine Hans Mikeš
Ablichtung von meiner Wenigkeit aus
dem Jahr 1981 zu Besuch in Vöslau.
Die Kostüm-Menschen. Die Schneider. Tailor. Magier mit Faden und Zwirn.
Irgendwann ist man der Schlamperei leid. Oder aber man wird – und das ist selten der Fall – darauf aufmerksam gemacht, daß das große Kleider-Machen-Leute nicht im Kaufhaus zu finden ist, sondern dort, wo Menschen an einer Nähmaschine sitzen und die kreativen Ideen des Kunden umsetzen. Was nichts mit «Styling» zu tun hat, das ist nur «Posing» und anderer Leute billiger Vorstellungen vom Gut-Gekleidet-Sein unterwürfig zu sein. Zu müssen? – Ich weiß, daß es an der Natur eines kreativen Menschen liegt, sein Wohlfühlen im Gewand zu zelebrieren, eventuell sogar soweit, daß das Wohlfühlen in seiner Bekleidung zu einer narzisstischen Ablenkung wird. Leicht übertrieben, sage ich hier. Nie bleibt man ja in einem Traum hängen, es gibt immer ein Erwachen. Auch die Lebensdauer des Zwirns ist endlich. – Aber der Spaß daran ... ! So gut oder noch viel besser als Sachertorte. Ist das wohl eine Kunst, die uns verloren gegangen ist? Eine Kunst, die Ersatz in der Phantasia-Serie erhalten soll; als Simulation industriell vorgefertigt, und weil meist digital serviert, im Gegensatz zur (vermeintlichen) Realität, wo das (harmlose) eintönige Zusammensein oder Nicht-Zusammensein der Menschen nicht gestört werden soll. So will es der Konsument (bildet er sich ein). Der man nicht sein darf. Der Sonntagsstaat darf und muß nicht dem Gewand des kommunistischen Einheitslooks unterworfen sein, der definiert, daß wer auffällt, zur Schau gestellt wird. Wer wirklich auffält, recht unauffällig auffällt, weil erst im zweiten Blick erkennbar. In allen Medien aus aller Welt stehen sie alle bereit, mit dem Knüppel in der Hand. Die Sixties liegen sechzig Jahre in der Vergangenheit: Das war jene Zeitepoche, während der Explosivität in jedem Verhaltenskodex mit tiefer Dankbarkeit entgegengenommen wurde. Aber: Hat man diese Vielseitigkeit in den Alltag mit eingewoben? Oder sind Herr und Frau Normalo weiterhin nur die zahlenden Affen, die sonderbare Figuren gegen Bezahlung bestaunen: im Kino, im Netflix, auf einer Konzertbühne? Und selbst auf den Konzertbühnen haben sich die Normalos bestens etabliert. Und wo, so frage ich mich schon lange, sind die Eigenheiten geblieben, die den Alltag durch Arbeit und Einfluß der Kreativen so eindrucksvoll geprägt haben? Talk of the Time waren da nicht mehr die Kriegssorgen, es war Unterhaltung, die reine Beigabe war zum Pfad zur Erleuchtung, dieser Braucht immer etwas Würze aus Sonderbarem. Würde heute noch ein Ringo Starr zu einer Photosession einen Stiefel als Kopfbedeckung tragen? Das, ganz einfach als Statement, bevor wir uns dem Fun-Teil zuwenden. Hoffentlich nicht erst dann, nachdem wir genug gelitten haben, um konsequenterweise als Joker wiedergeboren zu werden.
Besprechung mit Regina Brunthaller
in einem Café in Wien.
Der Verlauf der Bekleidungsgeschichte zeigt sich uns als Flußdiagramm, Stammbaum oder als lineare-nonlineare Aufzeichnung; vermutlich als komplexes Aderngeflecht, das in der Umwandlung zum Pie-Diagramm eventuell als Vorlage zu einer Statue dienen könnte; eventuell der Vorlage, die im Bewußtsein Rodins zur Planungsvorlage für den Denker gedient hat. Oder als Unterhaltungs-Spinoff der Bibel. Höhepünkte an fontänenhaftem Gesprüh an Schönheit leben in enger Nachbarschaft mit Dummheiten und Abgründen an Scheußlichkeit. Die Grenzen zieht hier natürlich der Betrachter, der User und der Konsument.
Edward verdunkelt, Budi klinkt sich aus.
Das hier ist persönlich. Es ist mein Versuch, in diesem Geflecht zurechtzukommen: ein Vorhaben, das gewissen Grades scheitern muß. Dazu sorgen die Unbeholfenheit der eigenen Wahrnehmung, die Mittel zur Umsetzung und – es sei nun mal nochmals betont – die Engstirnigkeit der Umgebung. Das Andere wird immer ausgegrenzt, das haben wir aus der primitiven Überlebensstrategie aus dem Tierreich als Gemeinsamkeit und auch als Erbschaft an Engstirnigkeit, die einem einprogrammierten Reaktionsmechanismus zum Schutze des Status Quo dient, was uns wieder zum Punkt Eins zurückwirft. Was für eine kluge Eigenschaft wurde mir doch in die Wiege gelegt: Die Fähigkeit, der gesellschaftlichen Starre ganz natürlich zu entkommen. Damit entging ich dem mentalen Einerlei. Damit aber wurde ich zu jemand, der ausgegrenzt wurde, weil mit jedem Schritt nach «außen» die Bedrohung der Norm deutlicher wurde. Damit wird der Reaktionsmechanismus zum Schutze des Status Quo aktiviert. Einer solchen Aktivität als «Künster» nachzugehen, war legitim: Schließlich war es dem Künstler gestattet, «anders» zu sein, sogar im Rahmen von Make-Believe in Theater oder Film zu quälen und zu töten, weil das der Unterhaltung der «Nicht-Künstler» dienlich war, die in ihrem unbedarften Zustand so verbleiben konnten. Wehe dem, der das jenseits von Show und unterhaltsamer Egozentrik ausleben will. Die Startrampe ist da Unverständnis, der Flug führt ins Unendliche.
Damit verlassen wir die Unterhaltungsbranche und setzen den Fuß in das «alltägliche» Leben. Nie habe ich Mode gesucht und nie den Umstand, Bewunderung oder Streicheleinheiten für mein Ego zu erschleichen. Das «Ich» spielte keine Rolle. Nur das «Oh, was für ein schönes Gewand!» als galaktische Gaudi. Das allein als Anteilnahme an meinem (persönlichen) Spiel (ähnlich wie das Rasa Lila) war wichtig. Damit sind die Beweggründe definiert. Wie weit kann man also damit gehen? Es ist klar: Es ist nur Unterhaltung. Und Kunsthandwerk. Gutes Kunsthandwerk führt zu bester Unterhaltung, einer wuchtigen Portion Freude im Tal der Tränen. Das «alltägliche» Leben wird plötzlich filmisch, ein Theater.
Accessoires: Ein Dämonenkopf mit
angeschraubten Schnüren, zum auf
den Kopf binden, und Polkadot-
Damenschuhe.
Rodins Denker ist ein unbeholfenes Werk. Es steht still und ist nur eine Momentaufnahme, während, wenn wir als Denker das Geflecht der Entwicklung der Bekleidung betrachten, die Bahnen der Geschehnisse nie stillstehen, jedes Festhalten scheitert, weil wir, während wir betrachten, zusehen müssen, wie sich die Bahnen verändern – schon allein deshalb, weil wir immer mehr an unserem Wissen über die Geschehnisse erfahren und ergänzen; in ständiger Bewegung sind, nicht nur im Vergangenen, sondern auch wegen der Bewegungen in der Gegenwart, die in eine Zukunft führt. ... das zur Erscheinungsform.
Dazu hat es das Handwerk. Die Schneidernzunft hatte über Jahrhunderte das Geschehen der Bekleidung überwacht. Gut so. Die Schneiderei ist ein Beruf, ein Kunsthandwerk, das der Malerei, der Plastik, der Architektur – die Liste ist sehr lang – mehr als gleichgestellt ist. Ein Handwerk. Jetzt geht's um den User. Jemand wie mich.
Was aus Kashi kommt, wird zu Kashi.
Sackstoff, der feine Zwirn der Sadhus.
Video: Hinterhofschneider
Varanasi 2007
Mein Blick schweift durch die Menge. Ziemlich viel gleichgeschaltetes Grau. Schwarz auch. Während meiner Spaziergange durch Wien bleibt meine Nase am Schaufenster des «India» hängen. Nachdem mir bereits «Tostmann Trachten» nahegelegt wurde. Das Thema Textil war immer schon herumgegeistert. Ich hatte immer schon die Bande des alltäglichen Anständig-Bekleidet seins als äußerst beengend empfunden. Und dann kamen weitere unvorhergesehene Eindrücke hinzu, wie die Kimonos in einem Schaufenster auf Honolulu. Schöne Stoffe, gute Qualität: Es gibt so viel davon. Und ich hatte nichts davon gewußt. Bruchstückweise tauchten solche Materialien auf, auf Stöbertour in Varanasi zum Beispiel. In einem Stoff- und Schneiderladen in Varanasi waren mir die vielen Unterlagen über Katherine Deneuve aufgefallen, die sie dort hatten. Ach, die war einmal bei uns und hatte sich Sachen nähen lassen. Oh – damit haben Katherine Deneuve und ich den gleichen Schneider. Der näht auf einer Tret-Nähmaschine in einem Hinterhof in Indien.
Tostmann Trachten. Ein Besuch in Wien
ohne Besuch bei Tostmann
zeugt von magerem Taschengeld.
Wenn es sich irgendwie einrichten läßt:
mit einem Besuch im Kellergewölbe.
Jedes Land ist ein Textilwunderland. Nicht, weil es durchgewalkte Modeschöpfer hervorgebracht haben mag. Weil jedes Land seine Trachten hat. Österreich ist da alles andere als eine Ausnahme. Tiroler Wolle: Leicht zu tragen im Sommer und wärmend im Winter. Die vielen Motive das Blaudrucks, und wenn wir schon bei den Motiven sind, wer kennt schon bewußt die in den Trachten eingestickten Lebensbäume? Wer Wien besucht, soll doch Tostmann Trachten besuchen. Als ich es tat, waren es Großmutter, Mutter und Tochter, die den Laden führten und penibel darauf achteten, daß alle ihre Sachen in Österreich genäht wurden. Und doch ließen sie sich auf Experimente ein, so gebrauchten sie Saristoffe für die Dirndlschürzen.
Das Universum scheint ein Gleichgewicht zu haben. Was man bekommt, wird genommen; was man erhält, hat man bezahlt. Was zu viel ist, wird entfernt; was man will, muß man erarbeiten. Auf Heller und Pfennig. Alles dient zu unserer Unterhaltung, dazu muß man für sein Ticket bezahlen. Alles andere ist ein Teil der Großen Befreiung. Wir nehmen uns das Recht, uns zu unterhalten, so auch ich. Kleidung ist eine wunderbare Form der Unterhaltung. Man stolziert durch's Leben und trägt des Kaisers neue Kleider. Was denn sonst. Ich mache mir auch einen Spaß daraus und mache mir mein Aussehen zu meiner Unterschrift. Und wenn nicht, dann verkleide ich mich als Durchschnittsmensch, nur um meine Ruh zu haben. Ich habe schon genug blöde und sogar ernsthaft gemeinte blöde Sprüche gehört. Letztere stammen aus dem Quark, den man Erziehung nennt. Oder Anstand und was weiß ich; alles Methoden, den Menschen in einer Gemeinschaft zu halten, die sich panisch um jede Veränderung fürchtet. Doch der Zerfall ist unausweichlich: Warum nicht im Spiel seiner natürlichen Überheblichkeit bombastische Unterhaltung kreieren? Man hat ja sonst nicht immens viel zu Lachen in einer Welt, die ständig am Untergehen ist. Auch unsere Lebensuhr tickt, sobald wir geboren sind. Was für eine Schöheit und was für ein Vergnügen erkauft man sich da mit dem Sandwich und dem Kaffee in der Hand und der Nase am Schaufenster bei Tiffany's. Oder beim Betrachten der Dinge an der Wand im Sultanmuseum in Zanzibar. Ja, das Stück ist für mich, nur nicht vor Staunen die Übersicht verlieren, das Stück ist für mich, obwohl es für eine Dame gedacht ist.
Wie schön, wenn man dazu Begleitung hat. Und auch noch die Harmonien und Kontrapunkte auf einen Nenner bekommt. Eine seltene Kunst. Meist ist die Begleitung genauso oder noch mehr geschädigt als der Einzeltäter. Be-Geleitung.
Selbst die in jungen Jahren unbeholfen angefertigte Kopie eines Mal- oder Zeichenstils zeigt schon durch ihren Inhalt die – wenn auch nur unbewußt erreichte – Tiefe der eigenen, über unbekannte Quellen erhaltenen Erkenntnisse. Gesichte, die über Leben und Tod und den verwobenen Verbindungen dieser Daseinspunkte Kundschaft tun. Ich wußte immer schon, daß es ein Mehr gab, auch an Bekleidung. Sollte ich da Modeschöpfer werden? Nein. Es gab genug zu tun, erst einmal die eigene Bekleidung zu entdecken. Und umzusetzen.
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Ein Leben, nicht eingeengt von der Umklammerung und den Einschränkungen verbogenen und verzerrten Denkens und der daraus resultierenden nebulösen Orientierung, das offeriert mannigfaltiges Kunsthandwerk. Zum Einen: ein ausgeglichenes Wunschdenken. Daraus resultiert eine klare Vorstellung davon, wie diese Wünsche zu realisieren sind. Ein weiterer Vorteil ist die Bedürfnislosigkeit, seine Vorgangsweisen über krumme Pfade zu leiten. Das geht immer schief und wenn es nur auslöst, daß man in seinem Geistesleben ein Versteckspiel führen muß. Resultat: Mit jedem Auffliegen eines Verstecks entdeckt man eine weitere Variante seines eigenen verzerrten Gesichts.
Der Traum – selbst in seiner Manifestation als Halbtraum – gibt Auskunft über die Eigenschaft der Kleidung und Bekleidung als Attribut des Würdestatus des Trägers und damit über den seelisch-geistigen Stand des Bekleideten. Selbst die Nachlässigkeit der Kleidung spricht von der unzulässig gestalteten Lebensweise eines Einzelnen oder einer ganzen Volksschicht. Die Artifakte, die man nachts im Traum zu ordnen versucht, geben diese Auskünfte.
Die Stoffe, die man einkauft; die Altargegenstände; auch die Bewaffnung, die ihren Platz im Wohnraum einnimmt, um dann – hoffentlich nur zu Trainingszwecken gebraucht zu werden: alles Bezeugungen der Tiefe. Der Traum hat den Vorteil, daß Personen, die in der Wirklichkeit unerwünscht sind, doch noch willkommen sein können und so ihre Stellung im Handlungsablauf beziehen. Urteilsvermögen haben die höheren Mächte. Und jene, die tatsächlich ihr Bett nahmen und gingen.
Wer versehentlich ins Schwert greift, hat vermutlich seine Ausbildung vorzeitig beendet. Die Präsenz der (selbst-) anerzogenen Vernunft sollte sich soweit manifestieren, daß solches nicht vorkommt.
Die ungelenk aufgezogenen Leinwände, auf denen manche glauben, ihre gestaltlosen Formen aus klumpiger, gestaltlos verfärbter Paste auftragen zu müssen, diese Leinwände werden zum Ableben als Lebensgemälde abgegeben. Diese «Bilder» muß man dann mit einem eindeutigen «ungenügend» taxieren, das ist wohl so. Der Mensch hat vier Häute, zwei äußere und zwei innere. Die Aufstellung läßt sich natürlich beliebig variieren. Das verspricht einiges mehr auszusagen – ein andermal.
Einmal mehr muß man Shakespeare recht geben: «What a piece of work is man.» Frei ins Wienerische gibt das «Was für ein G'schtöll.» Ich erinnere mich noch an den Ausdruck: «Die hot a fesches G'schtöll.» Mit an feschn Gwand ist des G'schtöll eventuel no scheena. Schaut's eich die junge BB an.
Wo? Orte der Bekleidung und Kleidung. Wo sind sie?
Es ist wohltuend, zu reisen und jeden Tag aufzustehen und ungeduldig hinauszugehen an einem Ort, der fremd und voller Neuigkeiten ist, hinauszugehen in einen Ort, der fremd und voller Abenteuer ist, mit all diesen Menschen, von denen die meisten die Rolling Stones kennen. Ich bin kein Schmuggler und kein Räuber, auch suche ich nicht den Kampf mit den Indianern, nicht das Abholzen der Wälder nach Edelhölzern und kein billiges Vergnügen, betäubt vom Alkohol, um mein gefesseltes Innenleben in Glück zu verwandeln, was eh nie gelingt. Voller Erwartung betrete ich die Neue Welt, die keinen geographischen Ort für sich beansprucht, und erwarte, daß mich die Erfüllung meiner goldenen Träume anspringen und mich darum bitten, ihrem Theater beizuwohnen.
Eine der vielen Möglichkeiten,
«ausgefallene» Stoffe einzukaufen:
Die oft winzigen Afroläden
in Paris Barbes Rochechouart.
Weil ich ja nicht nach dem Duell auf der Hauptstraße suche und nicht nach dem billigen Nervenkitzel des Wettbüros, suche ich – was ich immer schon tat – nach dem Schönen. Meist ist das Schöne unter den Menschen nur bedingt zu finden, meist gar nicht, bestenfalls bedingt, weil die Menschen, zwar umrahmt von den Möglichkeiten ihrer Makellosigkeit, doch nur vom Geschmack des Abwaschwassers brabbeln, geführt von ihrer Umnachtung, die alle Worte mit ausgelaugtem Dung verpropft. Aber immer, und das immer, halte ich die Augen offen, kann ich mich der vielen Artifakte nicht erwehren, die die Wege säumen. Sei es ein ehener Topf, mit Deckel, rund, bauchig und mit ungelenk abgesägten Beinen, Kunsthandwerk eines Schmiedes aus Mali oder graue Kreide, die – so teilt man es mir mit – zur Körperbemalung zum Tanz dient. Eher aber für Zwecke des Voodoo, da wird diese Kreide auch gegessen. Letzeren Sinn kenne ich nicht. Was ich sehe, am Wegrand des Wandels vom Morgen bis zum Abend, in den großen Städten der Welt, sind die Spuren des Zaubers. Die Wegränder zeigen auf alles, was dem Abenteurer verborgen sein kann. Der Blindwanderer, der nur nach den Spuren der Rolling Stones sucht, Spuren, die eventuell zu ihren selteneren Platten führen sollen oder zu einem Blick auf die Wüstlinge, die schattenhaft hinter den Fenster des Parkhotels in Baden umherhuschen. Niemand in Wien wollte sie haben. Der sehende Sammler ist nicht der Wohlhabende, es ist derjenige, der die Dinge im Dunkeln leuchten sieht.
Bleiben wir in Paris, wo ich unterwegs bin und schon im üblen Dunst der Metro die Wegesränder absuche. In den kleinen, afrikanischen Läden findet man Stoffe, die es beim Dreifuss nicht gibt. Die Schals, die zum Tanz gedacht sind, oder dicke Bettüberwurfe in kräftigem, erdfarbenem Rot oder blaue, gemusterte, kurze Baumwollbahnen in blau. Alles so schecht gefärbt und fixiert, daß es im Regen untragbar ist. Oft sind es längere, schmale Bahnen, die nicht breiter sind als ein schmaler Schal, die zu einem größeren Stück zusammengenäht sind. Vergeßt den Jeansstoff. Die afrikanische Baumwolle ist stärker, dicker und – vor allem das! – viel angenehmer zu tragen. So trage ich das am Wegrand Gefundene zusammen – all das fast Erfundene, weil ich nicht davon gewußt habe und die Stoffe wie aus einer Phantasie zu kommen scheinen – und sende mir die Pakete nach hause. Die gehen dann nach Wien, wo ich mir Mäntel und Hosen machen lasse. Dafür habe ich zwei Schnitte als Prototyp. Einen Achtzigerjahre-Mantel. Man betrachte die vielen Popvideos, die damals aktuell waren, so einer. Und eine Ninja-Hose, die ich in einem Kampfsportladen in Amsterdam erstand. Beide Vorlagen mußten von der Schneiderin in Wien etwas modifiziert werden. Die Eighties-Mäntel hatten alle furchtbar kurze Ärmel. Und die Ninjahose war für die kleinen Japaner gedacht, die gebückt durch die Schatten der Nacht huschten und lautlos Tote hinterließen. Und ich bin etwas zu lang, um ein kleiner Japaner zu sein.
Paris: Einer der vielen Schneiderläden in Barbes Rochechouart.
Arme Menschheit in Jeans gehüllt. Es gibt oder gab einen äthiopischen Laden and der Rue Notre-Dame de Lorette, nicht unweit des Amphora an der Nummer 54, wo ich immer mein marokkanisches Geschirr einkaufte, da entdeckte ich äthiopische Baumwolle. Weiß – blütenweiß und wie der Hauch einer Wolke. Natürlich gibt es da unterschiedliche Qualität, aber wenn man die bessere erhält, hat man einen wunderbaren Stoff.
Matrixblades.
Jeder ist seine eigene Matrix. Da bin ich keine Ausnahme:
Arbeiten für eine imaginäre Folge der Matrix.
Die Kleidung eines Musikers ist anders als die eines Priesters oder die eines Kriegers. Richtig. Die Handschrift ist anders.
Auf Honolulu entdeckte ich – weil sie dort so viele Japaner angesiedelt hatten, zwangsläfig – den Kimono. Dieser wurde feilgeboten in einem Schaufenster des Ala Moana Shopping Centers. Der billigste dort kostete eineinhalbtausend Dollar. Nun, Hawaii ist ohnehin ein Kulturschock und ein Kapitel für sich. Die wirkliche hawaiiansiche Kultur verbirgt sich vor allem, was sie nicht ist. Zu tief steckt noch der Schock der amerikanichen Annexion. Dennoch erstand ich in einem Hula-Laden (nicht unähnlich der Afroläden in Paris) ein Stück seltenen Kapa-Stoff. Dieser wird aus Birkenrinde gemacht. Ebenfalls ganz typisch sind die Röcke aus Ti-Blättern, die für die Hula-Tänze getragen werden. Haben halt eine begrenzte Lebensdauer.
Vermutlich ist es für einen Gai Jin wie mich praktisch nicht zu verstehen, wie sich die japanische Textilwelt dreht. Die Stoffe, das Färben, die Muster, die Folklore. Es gibt in Japan nichts, was man nicht verstehen könnte. Alles ist so komplex ineinander Verwoben, da gibt es für unsereinen nur das Dickicht. Erst recht die Sprache. Ich behaupte: Schwierig ist sie nicht, aber die vielen Buchstaben und die vielen Arten, die Ausdrücke richtig zu gebrauchen ... Der Kimono entzog sich mir, dazu fehlt mir die Kultur und auch die Reichtümer, die so ein Kleidungsstück verschlingt. Da muß ich mich mit der Takeshita-Street zufrieden geben, wo es alles für die japanische Popkultur gibt. Bunt ist da nur das Vorwort. Aber so ein violetter Krokodillederstil-Plastikmantel schaut ja auch recht gut aus, vor allem wenn man die nötigen Waffen in Akihabara eingekauft hat. Dazu noch weiße Tabis. Plötzlich durchschaut man die Matrix, wandert in dieser Montur über die Mariahilferstraße und freut sich an den Bemerkungen jener, die den Film gesehen haben und die Matrixkultur auf offener Straße begegnen und ihre Freude haben.