Zunächst: eine wunderbare Idee, ein hochkreatives Vorhaben. Im Laufe der Zeit: Für mich ein Horror-Event.
Der Reihe nach. George (Ricci) kam auf die Idee, ein Orchester in die Welt zu setzen. Weitab der Möglichkeiten, ein Symphonieorchester zu führen, wurde die Formation etwas kleiner und somit zum "George Ricci Light Orchestra". Nach gewissem weiteren Abspecken wurde es das "George Ricci Very Light Orchestra". Der Möglichkeiten viele. Dazu kam die Idee, das berühmte "Dido’s Lament" aus der Opernwelt Henry Purcells in einer türkischen Fassung auf das Programm zu setzen. Das kann von mir mit einem "Wow!" kommentiert werden. Von nun an ging’s bergab.
Voraussetzung für ein solches Vorhaben ist der gesunde Menschenverstand, der die Vorgaben der Aufnahmetechnik, der Videotechnik und aller Vorgaben in sachen Infrastruktur kennt und berücksichtigt. Für jemand (George), der im Jahre 2019 den Bleistiftstummel dem Computer vorzieht (obwohl er von mir einen geschenkt bekam) – er hat auch kein Internet – ist das ein Verharren in der Steinzeit. Immerhin hat er zuhause die nötigen Kupferdrähte, um Strom zu beziehen. Das kling jetzt gemein, ich finde aber keine anderen Worte. Ich fasse hier meinen Teil zusammen.
Phase 1: Die Vorbereitungen

Erste Skizze zum Aufnahmesetup.
|
|
Das Vorhaben ist ausgesprochen, George erzählt von seinem Orchester und der Umsetzung dieses Musikstücks im Filter 4. Er könne die Location zur Off-Zeit günstig mieten: Ob ich denn nicht einen so einen Zoom-Handy-Recorder hätte, um das Stück aufzunehmen? Das war das erste schockierende No-Go. Da setzt man ein ganzes Orchester in einen gemieteten Raum und will sein Vorhaben mit einem Handy-Recorder aufzeichnen. Was geht in einem solchen Kopf vor? Die vielen Jahre der kleinen Konzerte mit dem Hut als Einnahmequelle haben leider die Einstellung zu einem solchen Projekt beeinträchtigt. Ich jaule auf und krame die März-Ausgabe 2013 von "Sound & Recording" aus dem Bücherregal. Hauptthema: Orchester Recording. Viele Mikrophone, High-End Aufnahmetechnik, Toningenieure etc. Ah. Doch kein Handy-Recorder.
Das könnte doch Tom Pletscher machen, er habe doch so ein Mehrspur-Gerät (in diesem Falle ein Focusrite 18i20, 8 Mikrophon-Eingänge). Nun denn, ich könnte 8 Kanäle ADAT beisteuern, dann hat er wenigstens 16 Eingänge (das ADAT-Modul habe ich ihm dann geschenkt). Aber leider hat er nur drei bis vier Mikrophone, kaum Kabel (meist solche, über die er mit dem Bürostuhl regelmäßig darüberfährt) und schon gar nicht die nötigen Ständer. Ich könnte natürlich die fehlenden Mikrophone beisteuern, die Ständer und die Kabel. Nun, in der Zeit verschwand die Tochter seiner damaligen Freundin, damit war die Seele außer gefecht. (Die Tochter tauchte später zusammen mit ihrer gleichaltrigen Begleiterin in Freiburg auf. Was ihren heimlichen Ausflug in die weite Welt beendete, war, daß ihr das Geld ausgegangen war.) Ich war nicht unglücklich über diese Entwicklung. Ich war der Ansicht, Tom Pletscher hätte eine Verantwortung zu tragen gehabt, der er kaum gewachsen war (was nach dem Event auch Georges Meinung war).

Jonas Prina vor Ort.
|
|
Ich schlug Jonas Prina vor. Ich wußte, daß er nicht nur Schlagzeuger war, sondern auch ein Tonstudio hatte. George kannte ihn nur als Schlagzeuger. Er griff zum Telephon (er hat ein Old School Handy) und rief ihn an. Jonas Prina sagte zu. Damit hob ich mit dieser personellen Verknüpfung – was die Aufnahme anging – das Projekt auf das ganz anderes Niveau. Was mir nicht bewußt war, ist, daß Jonas ein Merging Technologies Horus System gebraucht. Genau das gleiche System, das im Recording-Magazin so hochgelobt wurde. Der Bericht handelte unter anderem von Daniel Dettwilers Orchester-Aufnahmetechnik. Jonas entstammte dem Idee und Klang Studio, dessen Leiter Daniel Dettwiler ist. Jonas wurde mitsamt Anlage für den Aufnahmetag gemietet.
Phase 2: Finanzierung und Logistik

Eine Szene aus dem Crowdfundingvideo.
|
|
Das Geld für das Vorhaben sollte aus einem Crowdfunding kommen. Eine wacklige Angelegenheit, die von der Sängerin Gizem Sinsek betreut wurde. Ja, George, hast du nicht um Gelder angesucht an einer offiziellen Stelle, so wie das Kulturamt Basel-Stadt? "Ich werde doch nicht all diese Formulare ausfüllen." Oh. Das war der Moment, da hätte ich sofort die Flucht ergreifen sollen. Die bescheidene Summe, die beim Crowdfunding herauskam, reichte nirgendwohin. Die Faulheit und Arroganz, keine Formulare ausfüllen zu wollen, ist für ein solches Projekt fehl am Platz.
Nun, es brauchte natürlich einen Video für das Crowdfunding. Könnte ich nicht einen solchen machen? Wann soll der gedreht und geschnitten werden und wann brauchst Du ihn? Morgen die Aufnahme, übermorgen ins Web stellen. Ich bin ja blöd genug, ja zu sagen. Ich hatte ein sinnlos tiefes Vertrauen in die Menschheit.
Man beachte: Hier wurde schnell ein Video produziert, bei eintretender bzw. voller Dunkelheit am Andreasplatz, weil sich kein anderer Ort so schnell auftreiben ließ. Also mußte die Beleuchtung mitgeliefert werden. Den Ton lieferte ein Shure SM89 Richtmikrophon. Die fallen auch nicht vom Himmel. Dazu wurde der Video visioniert und im Schnitt korrigiert. Die Inserts erfolgten mit einem türkischen Open Licence Font, der dazu besorgt und installiert wurde.
Es blieb immer noch die Frage nach den zusätzlichen Mikrophonen offen, da Jonas keinen riesigen Mic Locker zum Gebrauche hatte. Edward steuert bei: Eine gute Hälfte der Mikrophone konnte ich dazuliefern: AKGs, Neumänner, Schoepse etc. Und nach Absprache mit der Medientechnik an der HGK konnte ich alle Mikrophonständer und alle Kabel organisieren (einheitlich Contrik), gratis.
Phase 4: Video und Qualitäts-Standard
"Du könntest ja den Video machen." Ja, ich habe einige Videos für George gemacht und hatte dabei die Grenzen meiner einfachen Möglichkeiten ausgelotet. Aber hier ging es um mehr. Da steht auf der Crowdfunding Webpage:
"Mit dem Video TURKISH DIDO erscheint Purcells berühmte Arie «Dido’s Lament» in neuem Gewand: mit einer überraschenden Kombination aus europäischen und orientalischen Instrumenten und einer massgeschneiderten Übersetzung ins Türkische entsteht eine einzigartige Aufnahme in Bild und Ton in der ehemaligen Wasserfilteranlage Filter4 in Basel (CH)".
***
TURKISH DIDO ist nicht-kommerziell und steht online allen Menschen zur Verfügung.“
Damit haben wir auf der Crowdfunding Site einige klare Aussagen. "Mit dem Video TURKISH DIDO etc. ... entsteht eine einzigartige Aufnahme in Bild und Ton ..."
Zum Video: Leider hat sich dabei niemand den geringsten Gedanken gemacht, wie ein solcher Video gemacht werden soll. Der Filmemacher Simon Wottreng, der versprochen wurde, glänzte (so ziemlich) in letzer Sekunde als abwesend. Anscheinend war er mit Anderem beschäftigt.
Noch einmal: "einzigartige Aufnahme in Bild und Ton" mit einem Händy-Recorder und einem Video-Setup, das nur als Geist existiert? Vermutlich auf der Basis: "Irgendwer wird schon was hinzaubern.".
Auch hier: Verhandlungen in der Ausleihe der HGK. Ich konnte entgeltlos sechs Sony PXW-X70 Profikameras mit Taschen und Ständern organisieren. Am Eventtag gab es zwei (Laien-) Kameraleute. Die Kameraeinstellungen waren meine Sache. Auch kam das Licht von mir: alles analoge Bühnenlampen mit Ständer, Dimmer und Verkabelung.
Phase 4: Die Drehtage

Verkabelungen.
|
|
5./6. Oktober 2019
Die Arbeiten verliefen über zwei Tage. Ein Tag einrichten und ein zweiter Tag für Aufnahmen und Abbau. Mikrophone und Licht aus meinem eigenen Lager wurden von mir in Transportkoffer vorverpackt.
Kameras, Ständer für die Mikrophone, Contrik-Kabel, Kameraständer etc. wurden von mir in den Räumlichkeiten der HGK vorbereitet und in rollbare Cases und Bags zusammengestellt und verpackt, ready to roll. Im Vorfeld besorgte ich, um Crowdfunding-Video und Eventvideo umsetzen zu können, zwei Transportkisten, einen Kleinmixer und Harddisks. Damit gab ich schon mal 900 Franken aus.
Die eigentlichen Drehtage waren zwei Tage intensivste mehrgleisige Arbeit. Zu den sorgfältigen Vorbereitungsarbeiten kam nun das eigentliche Einrichten: Mikrophone aufstellen und Verkabeln, Licht aufstellen und verkabeln, Videokameras aufstellen und einheitlich voreinstellen, zeitgleich die Kameras starten (mit Klappe, auch extra besorgt), eine möglichst gute Bildkomposition erhalten. Eine lange Liste an Anforderungen. Eigentlich hätten es mehrere Techniker sein müssen.

Equipment.
|
|
Jonas kam und tat seine Arbeit mehr als recht, und ich bin froh, daß er dort war. Er ist die Sorte Menschen, die man am Set nicht spürt, der wie unsichtbar seine Arbeit verrichtet. Aber für 500 Franken am Tag mit einer hochqualitativen Aufnahmeanlage (Merging Technologies Horus) und sündteuren Mikrophonen (Brauner)? Ich hatte darüber mit der Cellistin Lucia Travelli gesprochen, ihre Antwort war: "500 Franken pro Tag für eine Aufnahme, wie billig!"
Phase 5: Die Ergebnisse, die Auszahlungen

Die Kostenaufstellung.
|
|
Selber schuld: Ich stellte mich hinten an mit der Aussage: "Zahlt mal die Musiker und dann reden wir über meinen Anteil." Verhängnisvoll. Es geschah nichts, aber schlichtweg gar nichts.
Also forderte ich George, Gizem und Anna Weissheimer (die nicht nur Perkussion spielte, sondern auch den Transportwagen fuhr) zu einer gemeinsamen Sitzung auf. Dort legte ich eine Kostenaufstellung auf den Tisch, wie sie eine Eventfirma auflegen würde, damit sie merken, wo wir uns bewegen. Auf dem Blatt standen dann 12.700 Franken. George und Gizem bekamen je ein Blatt und Anna auch, nach einem: "Darf ich auch eins haben?" Auch das kam nicht an. Ich hörte von niemand auch nur irgendwas. Es kam die Pandemie, da ließ ich einmal jeden Druck sein.
Im Rahmen dieser Sitzung hatte ich auch die Möglichkeiten erläutert, die dem Projekt noch offenstünden. Weitere Aufnahmen würden eine abendfüllende Dokumentation ergeben, die durchwegs im Schweizer Fernsehen oder auf Arte gezeigt werden könnte.
Auch hier: Ein wenig Kopfnicken, kurze Träumerei, dann Vergessen und geistiges Versinken in einem diffusen Graubereich.
Jonas übernahm den Mix und das Mastering. Was er dafür bekam, weiß ich nicht.
Die 200 Videodateien liegen bei mir auf zwei Harddisks doppelt gesichert unter Verschluß. Alle diese Dinge ereigneten sich Oktober 2019, damit war das heute (August 2021) vor knappen zwei Jahren. Von einem gratis Online-zur-Verfügung-Stehen der Aufnahmen ist niemand etwas bekannt. Kunststück, da die Videos bei mir unangetastet im HD-Speicher liegen (bis auf eine kurze Sequenz, siehe oben). Nach dieser Zeit könnte man die Crowdfunder als betrogen bezeichnen.
Während eines zufälligen Aufenthalts im Café Engel oder Aff legte mir George Juli 2021 ein Kuvert auf den Tisch mit den Worten: "Du bekommst am meisten, Du hast auch am meisten gemacht." Meine Antwort war: "Ich schau mir das zuhause an, bevor ich dich verfluche." (Übersetzungen aus dem Englischen) Ich hatte Böses geahnt. Das Kuvert enthielt 600 Franken. Kein Kommentar, kein Beleg, keinerlei Papier, keinerlei Kostenaufstellung. Keine Quittung. Nichts. Und der Videoschnitt? Den machen die Heinzelmännchen?
Damit hat George, dazu schriftliche Erwähnung von Gizem und Anna, per Einschreiben eine Rechung für 8.140 Franken erhalten (Juli 2021), zahlbar innert 10 Tagen. Bis jetzt kam nur ein SMS mit dem Hinweis, daß er noch bis 25. Juli in Berlin sei, er würde sich dann melden. Weiterhin: Funkstille.
Am 4. August 2021 wurde die erste Mahnung verschickt.
WIE KANN MAN NUR einen solch schönen Event so bezuglos in einem Schlammloch versenken? Ich wende mich ab, voller Grauen, von diesen Menschen und kann nur vor solchen Machenschaften warnen. Es mag sich hier um hervorragende Musiker handeln, aber was mehr als die Teilnahme an bescheidenen Events mit einem Hut als Einnahmequelle angeht: höchste Warnstufe.
Stand: 4. August 2021
Purcell auf Türkisch – Sitzungsprotokoll vom 09. August 2021