Musik frei nach James Joyce 



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Das James Joyce Minifestival am Maison 44


Maison 44 als Galerie und Kunstvernetzung gibt es nun seit 20 Jahren. Meist werden dabei die Ausstellungen von einem musikalischen Event oder einer Lesung begleitet. Ich hatte eine Handvoll solcher feinen Veranstaltungen besucht und dachte mir beim Betrachten des Jubiläums-Programms: Da drängt sich doch eine Aufzeichung auf. Also spach ich mit der Galeristin, Frau Ute Stoecklin. Sie gab mir das OK.
 
 

Die Bilder und Videos im Text
 
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Das Video | Vorarbeiten und Aufgabenstellung | Links | Der analoge Teil | Der digitale Teil
Die Lesung | Wake II | Lied-Rezital | Das Häßliche | Die Nachbearbeitung | Das Schlußwort

James Joyce auch hörbar.
James-Joyce-Minifestival | Maison 44 | Samstag, 27. August – Sonntag, 28. August 2022
 
 


Ondes Martenot und Gong.
 



Noten.  
 
 
 

Wake

Wake II

17 Min. 04 Sec.

  
 
Was tun mit den wunderbaren Mikrophonen, die ich in meiner Sammlung habe? Eigentlich sind wir umgeben von vielen Musikern, von vielen Formationen, die es wert sind, aufgenommen zu werden. Viele von diesen Musikern und Komponisten sind sich gar nicht bewußt, welche Möglichkeiten wir heute haben. Also: Gehen wir diesen entgegen.
 
Wichtig dabei ist mir immer die Dokumentation. Eventuell findet diese am Ende einer Zeit ihr Schicksal im Vergessen. Dennoch: Alles, was aufgezeichnet ist, hat seinen Nutzen, dieser Beginnt an der eigenen Reflexion.
 
Im Vordergrund dieses Pilotprojekts stand die Audioaufnahme. Und wenn wir schon unterwegs sind, dann schadet es sicher nicht, auch die Videokamera mitzunehmen. Loten wir aus, was wir mit einer Sony PXW-FS5 machen können, die «neu» im Arsenal steht. Diese hat ja bekanntlich viele, viele Einstellmöglichkeiten, die es zu erkunden gilt. Wie kommt sie mit ganz einfachen Lichtverhältnissen klar? Wie verhält es sich mit den Videoformaten und dem Zusammenspiel von Blende, Framerate und Verschlußwinkel? Da ich ein Nikon AF Nikkor 24–120mm / 1:3.5–5.6 über einen Novoflex Adapter an die Sony verbunden hatte, mußte Belichtung und Scharfstellung manuell eingestellt werden. Während ich die Audioaufnahme machte, stand Andreas hinter der Kamera und sein iPhone am anderen Ende der Vorführung. Vom iPhone wird viel versprochen. Kann man die Beiden zusammenbringen? Der Video: Auch ein Pilot für sich, als Spinoff der Audioaufnahme und dazu einfaches Dokument in Bild und Ton des Wake II.
 
 
Einstellungen Sony PXW-FS5
File Format: XAVC QFHD / Rec Format: 3840 x 2160/25p 60Mbps / Rec Set: 50i
Für den Videoschnitt wurde das .MXF-Format im Apple Compressor auf Apple ProRes 422HQ konvertiert und im DaVinci Resolve endverarbeitet. Ursprünglich war angedacht, diese Aufnahmen mit denen aus dem iPhone zu kombinieren. Aus nie geklärten Gründen erwiesen sich diese Aufnahmen als unbrauchbar. Die Technik schein seine Tücken zu haben.
 
 
 
Vorarbeiten und Aufgabenstellung
 
Wie angedeutet: Es lauft viel Musik in vielen Bereichen. Die Plakatwände sind voller Namen, die um diese Arbeiten werben. Seien es Interpreten Schuhmanns und Brahms sowie zeitgenössischer Komponisten, Vertreter der Avant-Garde (Gibt es das noch?) und des Noise, Formationen aus Pop, Blues, Rock, Jazz – lassen wir die Grenzen verschwimmen. Da findet man ständig etwas Aufregendes. Oder auch Beruhigendes. Und die Vortragenden? Oft bekomme ich das Kiefer gar nicht zu, wenn ich erlebe, mit welchem Können die Interpreten auf der Bühne stehen und ein Publikum zu begeistern wissen.
 
Es war höchste Zeit, die Möglichkeiten nach Außen zu tragen. Und auch die Mär der himmlischen Aufnahmen zu verbreiten. Alles mit viel Aufwand verbunden. Kisten schleppen, Kabel legen, Nerven aufbrauchen. Ich schob alles Böse beiseite und nahm dem Üblen so viel Lebensraum wie nur möglich. Ich war davon überzeugt, daß meine Seele und meine Sehnen das alles gut verkraften. The Show Must Go On. Schlußendlich sitzt man am Ende vor den B&W-Speakers, freut sich unendlich und klopft sich selbst auf die Schulter.
 
Es steht bei mir allerlei – ich wage zu behaupten – hochkarätige Elektronik aus dem Bereich der Aufnahmetechnik in diversen Racks und Schatullen zur Verfügung. Schon vor vielen Jahren hatte ich den Bereich der Tonbandaufnahme verlassen (gerne wieder mal ... !) und die Berg- und Talfahrt der digitalen Aufnahme betreten. Es laufen immer noch die Diskussionen um Bittiefe und Samplingfrequenz. Diese sollen hier nicht geführt werden. Ich habe Zugang zu 32 Bit/192 kHz als auch DSD 2,8 mHz und DSD 5,6 mHz (RME, SPL, Dante, Korg MR-1000). Ich stellte mir die Aufgabe, Matthias Heeps Wake II in bester Auflösung und mit den besten mir zur Verfügung stehenden Mitteln aufzuzeichnen. Ich gab mir die Vorgabe 24 Bit/192 kHz. Näheres über die Mikrophone und der Übertragung ins Digitale siehe weiter unten.
 



Wie üblich, Edward wühlt sich durch
die Lianen der Kabel.

Photo: Andreas Suter
Nachdem ich in der Webankündigung des Maison 44 von dieser Veranstaltung las, nahm ich Kontakt auf mit der Veranstalterin, Frau Ute Stoecklin. Es ist nie einfach, ein solches Unterfangen zu schildern, die Technik führt in der Regel ihr Eigenleben im Hintergrund, also kam ich mit ein paar schönen Mikrophonen vorbei, um ein Wenig illustrieren zu können. Ich bekam die Zusage. Da es sich für mich um ein Pilotprojekt handelte, war natürlich alles kostenfrei. Die (Audio-) Aufnahme in High Quality steht allen Beteiligten – Technik, Musiker, Veranstalter, Komponisten – zum persönlichen Gebrauch zur Verfügung mit der Einschränkung, daß diese nicht veröffentlich werden darf. Gilt auch für mich, und das wurde per Vertrag schriftlich fixiert. Die Weiterverwertung der Dateien? Nach Absprache. Es wurde unterschrieben und verkabelt.
 

 
Links
 

Maison 44
https://www.maison44.ch/
 
Zürich James Joyce Foundation
www.joycefoundation.ch

 

Wake II
 
Matthias Heep
Komponist
https://matthias-heep.ch/
 
Solo Voices
Die SängerInnen:
Francisca Näf und Jean-Christoph Groffe
http://www.solovoices.ch/
 
Die Spieler der Ondes Martenots
https://www.lt-audiovisuals.com/
https://www.ludovicvanhellemont.com/

 

Lied-Rezital
 
Hans-Jürg Kupper
Komponist
Kanton Solothurn Kuratorium für Kulturförderung: Hans-Jürg Kupper
 
Niklaus Kost
Bariton
https://www.instrumentor.ch/de/niklaus-kost
 
Hans Adolfsen
Pianist
https://www.zhdk.ch/person/hans-adolfsen-150760
 

 
Der analoge Teil
 
Am Anfang einer jeden Aufnahmekette steht der Input über Mikrophon oder über Line-Ausgang aus Keyboard, Synthesizer oder Verstärker. In diesem speziellen Fall haben wir den Line-Eingang überhaupt nicht. Alles wurde über Mikrophone abgenommen. Auch die Synthesizer. Generell suche ich das Beste aus, was ich in meiner Kollektion finden kann. Diesmal waren das:
 
 
2x Earthworks QTC50
https://earthworksaudio.com/omni-microphones/qtc50/
 
Kleine Wunderwerke der Technik. Die QTC zeichnen auf, was da ist, detailgetreu und – knusprig. Sie haben Kugelcharakteristik und sind das Beste, was ich kenne, für Instrumente.
 
Für die Klavierabnahme am Sonntagmorgen mußte ich etwas minimalistisch vorgehen. Den Vortragenden war das Klavier zu laut, also machten sie den Deckel zu und nur ein ca. handbreiter Spalt hinter dem Notenständer am Klavier blieb noch offen, das war alles, was mir an Platz blieb, die beiden Earthworks zu plazieren. Die Aufnahme des Bösendorfers wurde etwas mulmig, aber da konnte ich nichts machen. Natürlich gab es auch ein ziemliches Bleeding auf das AKG für den Bariton, da das Klavier hinter dem Sänger stand – und auch noch mit dem Deckel zu, also mußte ich in der Nachbearbeitung haargenau die Gesangsstellen wegschneiden, wenn nicht gesungen wurde, um nicht noch mehr Mulm zu haben.
 
2x AKG C414 B-ULS
https://www.akg.com/support/C414+B-ULS_.html
 
Diese Version der AKG C414er Mikrophone wurden von AKG von 1986 bis 2004 hergestellt. AKG hat schon etliche Versionen des C414 gebaut, und man behaupet, die ULS-Version halte, was der Name verspricht: Ultra Linear Series. Auch hier sollte es keinerlei Verfärbung geben, allerdings sind diese – sprechen wir’s aus – weicher und samtiger als die Earthworks.
 
4x Schoeps CM 640
https://schoeps.de/ueber-uns/produktgeschichte.html
 
Schoeps-Mikrophone aus dem Jahre 1960 auf Basis der Lorenz EF 94-Röhre, ein Mikrophon mit einer sogenannten Sprachnieren-Charakteristik. Betrachte ich die Gravur, dann sehe ich eine Niere. Meiner Ansicht nach wunderbar für Streicher mit samtigem Klang.
 
1x Neumann TLM 49
https://de-de.neumann.com/tlm-49
 
Für die Lesung hatten wir ein Neumann TLM 49, ein unglaublich knuspriges Mikrophon. Wir hatten zu von Vorbereitungsarbeiten das AKG C414 B-ULS einem Neumann U87ai und dem Neumann TLM 49 gegenübergestellt. Das 49 gewann haushoch für Sprache, auch hat es einen richtig kräftigen Output ...
 
Weiters analog: die Vorverstärkung, in diesem Fall ein
 
Grace Design m801
https://gracedesign.com/products/microphone-preamplifiers/m801
 
Das m801 kam 2006 auf den Markt. Auch hier haben wir es mit einer extrem linearen Wiedergabe zu tun. Es geht hier nicht um Färbungen, sonder um eine möglichst exakte Wiedergabe von dem, was das Mikrophon liefert. Und das m801 mit seinen auf acht Leiterplatten für jeden Kanal macht genau das. Jedes Detail wird getreu verstärkt. Und das auf jeweils zwei XLR-Ausgängen. Klasse für den Aufnahmepfad und für ein Monitoring ohne Splitter dazwischen.
 
Wenn möglich kamen Van Damme Tour Grade Classic XKE Ultra Pure Silver Plated OFC Kabel zum Einsatz. Ja, auf den Kabeln selbst ist die Bezeichnung noch länger.
 
 
 

 
Der digitale Teil
 
Dann muß das Ganze aber auch noch in das Aufzeichnungsgerät. Die Sache mit dem Tonband tu ich mir nicht mehr an. Im Rack stand ein MacPro auf dem Logic lief. Zwischen den analogen Ausgängen des m801 und dem Mac lag ein Dante Modul.
 
Sonifex AIO8R
https://www.sonifex.co.uk/de/avn/avn-aio8r.shtml
 
Das Sonifex AIO8R ist ein Rackmodul mit einer Höheneinheit und braucht nur Power over Ethernet um laufen zu können. Das Modul hat 8 Eingänge und 8 Ausgänge. Somit wurde das m801 mit dem Sonifex verbunden und lieferte über den Ethernet-Ausgang den Ton für das DAW, in diesem Fall Apple Logic. Die kostenfreie Dante Controller Software stellt uns das Routing zur Verfügung. Hier wird auch die Bittiefe und die Samplingfrequenz definiert. Das Tolle am Sonifex AIO8R ist, daß wir bis 32 Bit und 192 kHz kommen. Der Entscheid fiel auf 24 Bit und 192 kHz. Natürlich braucht es noch als kleinen Software-Bestandteil das Dante Virtual Soundcard, was dann die Schnittstelle zum Logic darstellt und in den Audioeinstellungen als Audio-In und Audio-Out definiert wird.
 
https://de.wikipedia.org/wiki/Dante_(Netzwerkprotokoll)#Dante_Controller
 

 
Die Lesung
 

 
Ursula Zeller liest aus «Finnegans Wake»
 
Als langjährige Kuratorin der James Joyce Stiftung hat Ursula Zeller verschiedentlich zu Joyce publiziert. Sie war beteiligt an der Revision von Hans Wollschlägers klassischer Übersetzung des «Ulysses» und hat kürzlich mit Ruth Frehner erstmals die Briefe von Joyces Verlegerin Sylvia Beach an den Autor veröffentlicht. Zudem hat sie dramaturgische Konzepte für Joyces Literatur entwickelt, die im Rahmen der Festspiele Zürich zur Aufführung kamen. Gegenwärtig ist sie Ko-Kuratorin einer Ausstellung zum 100. Jahrestag der Publikation des «Ulysses» 2022. [Ute Stoecklin]
 

 
Wake II

Matthias Heeb Komponist
Francisca Näf Mezzosopran und Jean-Christoph Groffe Bass
Tatiana Touliankina und Ludovic Van Hellemont Ondes Martenot
 


Zwei SoloVoices, zwei Ondes Martenot-Spieler und ein Aufnahmetechniker.

Photos: Andreas Suter
 
 


Im Nachdenklichen und im Gespräche Vertieft: Matthias Heeb, Komponist (oben links), Ursula Zeller, Kuratorin der James Joyce Foundation Zürich (rechts) und Hans-Jürg Kupper, Komponist.
 
 
 


Das Publikum bestaunt Tatianas Ondes Martenot.
 
 
Der samstägliche Teil des Konzerts war die in Musik gefaßte «neue» Version von Finnegans Wake des Komponisten Matthias Heep. Ich will hier absolut gar nichts über Joyce sagen und auch nichts über Finnegans Wake. Ich weiß von nichts, ich habe das Buch (noch) nicht gelesen und bin da völlig unbedarft in die Aufnahme geschritten. Auf jeden Fall klang alles so interessant, daß wir (Edward Mickonis und Andreas Suter) all die Mühen auf uns nahmen, eine möglichst audiophile Aufnahme dieses Stückes einzufangen.
 
Im Vorfeld suchte ich den Kontakt mit dem Komponisten, der anscheinend bis zum letzten Augenblick so mit seiner Komposition bestäftigt war, daß er anscheinend das Mailbeantworten als sekundär betrachtete, und auch mit dem Ensemble, zuerst mit den SoloVoices (aus Basel), wobei nur zwei derer auftraten und dem einen der beiden Ondes Martenot-Spielern. Schlußendlich fand alles seinen rechten Pfad.
 
Oh! Was ist ein Ondes Martenot? Da ich schon im Jahre 2012 kurz Bekanntschaft mit einem Ondes Martenot gemacht hatte, im Rahmen eines Konzerts der Formation musique brute. Das Ondes Martenot spielte Natalia Sidler. Es wunderte mich, daß da plötzlich zwei Stück davon auftauchten. Anscheined werden die Ondes Martenots heute wieder hergestellt.
 
Allmählich legten sich für die Ute die Schockwellen, nachdem sie sah, wieviel Material ich da anschleppte, aufstellte und zusammenschloß inklusive all der Kabel und Mikrophonständer. Aber als dann alles dastand, gewöhnte man sich allgemein an den Anblick und konnte sogar eine Art von Bezug zu Joyce herstellen. Als damit alles viel freundlicher aussah, konnte ich mir einen weiteren heimlichen Schweißtropfen von der Stirn wischen. Klar, die beiden Ondes-Spieler Tatiana Touliankina und Ludovic Van Hellemont mit ihrem Background in der elektronischen Musik konnten meine Objekte aus AKG und Schoeps schon fast übersehen.
 
Damit bekamen die Singstimmen – Francisca Näf, Mezzosopran und Jean-Christoph Groffe, Bass – je ein C414. Überraschung (nun ja, per Mail angekündigt), es wurden noch zwei Gongs aufgestellt. Die beiden Ondes Martenots hatten je zwei Boxen, eine mit dem trockenen Signal und eine mit dem Hall. Da wurden die CM 640er aufgestellt. Die QTC50er gingen an die Gongs, die auch noch einen direkten Anschluß an die Ondes hatten und gewisse Töne übernahmen und per Gong wiedergaben (!).
 
Während der Proben konnten noch ein paar Verzerrungen ausgebügelt werden. Die derzeit zur Verfügung stehenden acht Dante-Kanäle wurden vollends gebraucht. Ursprünglich waren nur vier gedacht. Ach, man muß auch für Unverhergesehenes parat sein. So what. Dafür haben wir eine schöne Aufnahme, und um Matthias Heep, den Komponisten zu zitieren: «Ich habe gar nicht gedacht, daß man so gut Stimmen und elektronische Instrumente zusammen aufnehmen kann!»
 
 

 
Lied-Rezital
 
Hans-Jürg Kupper Komponist
Niklaus Kost Bariton und Hans Adolfsen Klavier
 


Hans-Jürg Kupper spricht Einführende Worte zum Lied-Rezital.

Photos: Andreas Suter
 
 


Hans Adolfsen und Niklaus Kost im Vortrag.

 
 
Der Sonntag bahnte sich an. Etwas weniger komplex. Es galt einen Bariton mit Klavierbegleitung digital zu bannen. Sie kamen eine Stunde früher als erwartet – umso besser, so hatte jeder genug Zeit, sich vorzubereiten.
 
Das Programm:
 
«Loveward ... Voidward»
12 Lieder und Gedichte von James Joyce 2013/14
 
Aus «27 Mirlitonnades» von Samuel Beckett, 2017
 
Da ich ja schon alles Material vom Vortag stehen hatte, drängte es sich förmlich auf, den Sonntag doch auch gleich aufzuzeichnen. Zwar gab es zunächst den üblichen Überraschungseffekt seitens der Musiker, diese willigten aber sehr gerne ein, schlußendlich gab es dann ja eine hochqualitative Digitalaufnahme. Hans Adolfsen rückte den Flügel an den richtigen Ort und begann sich in die Stücke einzuspielen. Niklaus Kost lockerte seine Stimme. Wir hatten leider niemand, der die Fensterscheiben festhielt. Meine Güte, da kam ein Druck aus der Kehle! Und ich plazierte zwei Earthworks in den geöffneten Spalt des Klaviers – aus Gründen der Lautstärke wurde der Deckel zugemacht – und ein C414 vor das Notenpult des Sängers. Der Rest war stille Beschäftigung, damit sich die beiden konzentrieren konnten.
 
Es ist wie immer, entweder besucht man ein Konzert oder man zeichnet es auf. Beides geht praktisch nicht. Dazu ist man zu sehr von der Technik absorbiert. Also bekommt man nicht alles mit, weil man zu sehr mit Faderziehen und Knöpfedrehen beschäftigt ist. Erst nachher, beim Abhören hat man Gelegenheit, die Werke richtig anzuhören.
 
Ich lud nach dem Konzert die Vortragenden ein, doch kurz einen schnellen Mix an den Headphones anzuhören. Auch hier schien ich auf gutem Weg gewesen zu sein, denn Hans Adolfsen drückte es so aus: «Das, was auf der Aufnahme ist, das ist auf jeden Fall viel besser als das, was das Publikum gehört hat ...»
 

 
Das Häßliche
 
Eigentlich sollte hier die Beschreibung der Aufnahme des Klavier-Rezitals zu John Cage von Urs Peter Schneider stehen. Nachdem ich nach einer Pause so gegen halb drei wieder in die Galerie kam, wurde mir schon an der Tür mitgeteilt, daß es Probleme gebe. Das Angebot, das Rezital auch gleich aufzuzeichnen wurde von Herrn Schneider schlichtweg mit Füßen getreten. Das Erste, was er sagte, war: «Das muß alles weg, sonst kann ich nicht spielen.» Das ging so weiter in einem überheblichen, abstoßenden und arroganten Tonfall. Grund genug, alle meine Sachen zusammenzupacken und zu gehen. Die Aufnahmen von mir waren ein Angebot, ein Angebot, daß mir und auch Andreas, der assistiert hatte, recht viel Arbeit beschert hat. Unentgeltlich. Da muß muß ich mich nicht auf diese Weise behandeln lassen.
 
Eine der «Argumente» war, daß so eine Aufnahme nicht möglich sei, weil ja die Musik dabei «im Raum stehe». Schön und gut: Er selbst sitzt mit dem Klavier in diesem Raum. Das Publikum sitzt aber in einem anderen Raum, der mit einer geöffneten Tür zu diesem «Raumklang» verbunden ist (siehe Fotos oben). Damit bekommt das zahlende Publikum nur mehr die Essensreste von seinem «Raumklang».
 
Ich kann nur davon abraten, eine «Zusammenarbeit» mit jemand zu suchen, der John Cage zu seiner persönlichen Selbstbeweihräucherung mißbraucht.
 
 

 
Die Nachbearbeitung
 
Die Arbeiten müssen ja auch noch für den «Laien» abhörbar sein. Die Mehrspuraufnahman mußten auf Stereo abgemischt werden. Bei einem Klavierrezital ist das eher eine einfache Sache, aber beim Wake II ist das etwas ganz anderes. Stichworte: Leakage und Phasen. Leakage bedeutet, daß ein Mikrophon auch das aufnimmt, was ein anderes Mikrophon aufnimmt – ein Leck, das die Differenziertheit der Aufnahme beeinträchtigt. Und Phase? Verschiedene Mikrophone erhalten mit kleinen Zeit-Differenzen das gleiche Klangbild. Was eventuell zu einer Auslöschung von Signalen führen kann. Man tun sein Möglichstes, und irgendwann geht es nicht anders und man macht die Augen zu (zum Phasenbild).
 
Wake II wurde mit acht Mikrophonen aufgezeichnet. Es ist klar, daß der Gesang einen Anteil Ondes Martenot hatte und alles auch noch mit den Gongmikrophonen aufgezeichnet wurde. Was eigentlich recht gut ging. Als etwas Störend empfanden wir den Hall der Galeriewand, denn die SängerInnen standen direkt an der Wand und reflektierten so den Gesang über die Wandfläche. Das konnte mit Native Instruments' Transient Master korrigiert werden.
 
Ich spaltete den Mixdown in zwei Anteile. Gesang auf eine Subgruppe und Gongs und die Ondes Martenots auf eine zweite, die ging zuerst durch einen Ted Fletcher TFPRO P8 Kompressor, der wurde aber ersetzt durch einen BSS Opal DPR-422. Danach wurden die zwei Stereosignale mit einem Vintage Maker 16x2 Solid State Summierer zusammengeführt. Dieses Signal ging durch einen SPL Qure Equalizer für die Klangkorrektur, danach durch einen IGS-Audio Zen Kompressor. Das Stereosignal wurde im Steinberg WaveLab festgehalten, genauso wie die einzelnen Spuren auch wieder mit 24 Bit und 192 kHz. Im WaveLab machte ich letze Korrekturen per EQ und ein weiteres Limiting. Das wurde exportiert. Diese Aufnahmen stehen nun allen Beteiligen kostenlos zum persönlichen Gebrauch zur Verfügung.
 
Die Klavierrezitale wurden ähnlich bearbeitet. Wichtig war vor allem die Balance zwischen Klaversignal und Gesangssignal, die beide starke Anteile von der anderen Spur vorwiesen, die das Klangbild zu verwischen drohten. Auch hier verlief der Signalweg ins WaveLab durch SPL Qure und IGS-Audio Zen.
 
Für mich (und auch für Andreas Suter) war es ein sehr aufwendiges und lehrreiches Pilotprojekt. In organisatorischer und technischer Hinsicht und auch im Umgang mit vielen netten und kreativen Menschen und einem weniger netten Individuum. Eigenlob stinkt, ich lasse es hier stinken: Nachdem ich in der Galerie alle Anschlüsse beinander hatte, kontrollierte ich den Signalfluß. Juhui! Kein einziges Kabel falsch angeschlossen, alles lief wie geschmiert.
 
Wie üblich brauchte es etliche Anläufe, um mit dem Wake II und auch mit dem Klavier- und Gesangrezital ein zufriedenstellendes Klangbild zu erhalten. Und wie üblich: Es ist ein Klangbild nach meinen eigenen Ohren. Jemand anders hätte das ganz anders gemacht. Das ist nun mal der Stempel der Handschrift.
 

 
Das Schlußwort
 
Wie vielfältig! Von der Idee bis zur Umsetzung eine Kletterpartie. Edelweiß an den ganz hohen Felsvorsprüngen. Es war, als hätte ich jede Möglichkeit audiovisueller Arbeiten Kapitel für Kapitel durchgegangen. Nichts wurde ausgelassen. Und so schaut jedes Projekt aus. Ich würde behaupten, ausnahmslos. Freuen wir uns am Edelweiß.
 
Es sei hier angeführt: Es ist eine hohe Kletterpartie. Man ahnt es nicht, was da für Faktoren auftauchen, auf die eingegangen werden muß, damit das hehre Ziel der hochfidelen Aufnahme erreicht werden kann. So hat es Hall-Ereignisse, die eventuell korrigiert werden müssen, damit Gesang und Sprache klar und präsent wiedergegeben werden. Das Ohr korrigiert im Live-Event vieles, das auf der Aufnahme nachbearbeitet werden muß. Auch hat man mehrere Spuren, für die einzelnen Singstimmen Spuren und auch für die Instrumente, die klanglich ineinanderfließen. Das kann ein recht komplexer Ausgleich in der Nachbearbeitung sein. Es müssen auch die Lautstärkeverhältnisse bearbeitet werden (Kompression, Limiting); übertreibt man das, kann die Aufnahme furchtbar leblos erscheinen.
 
Wenn aber all das gewissenhaft verfolgt wird, dann freut man sich ungemein am Edelweiß.
 
 
     Edward, 28. September 2022