Die feine Kunst des Jazzspielens
Drei in anderen Sphären
David gegen Goliath. Ich mußte doch einmal die GoPro Hero 11 austesten, die letztes Jahr rechtzeitig zu Weihnachten auf den Glitzermarkt geworfen wurde. Zu deren Seite Stand die Sony PXW-FS5. Es konnte kaum ein tieferes Gefälle geben.Und sie hielt sich wacker. Ich hatte schon vor etlichen Jahren GoPros für Konzertaufnahmen eingesetzt: Die Bildqualität hatte sich weiterentwickelt. Leider quittierte sie einige Male wegen Überhitzung den Dienst.
Es ist jedesmal eine komplett neue Situation, die man antrifft. Vom hochgradigen Intensiven Scheinwerferlicht bis zur Schummerbeleuchtung. Großbühne und Kellerlokal. Egal was: Ich lasse mich nicht abschrecken. Jedesmal sind es andere Herausforderungen, die es irgendwie zu meistern gilt. Das Credo ist immer wieder das Gleiche: Do or Not to Do, das ist die Frage. Meist ist die Antwort eindeutig: Loslaufen und die Kameras nicht vergessen. Wir leben in einer Zeit, die es uns ermöglicht, Erlebtes noch einmal zu erleben. Desto schwerer die Kamera, desto knackiger der Poledance.
Jazz beyond Black and White
Ein älterer Herr – ein großer Jazzfan, sei es gesagt – hatte mir vor inzwischen längerer Zeit gesagt, daß das, was der Miles Davis später gemacht habe, das hätte mit Jazz nichts mehr zu tun gehabt, das sei bestenfals eine Modeschau gewesen. In der Tat hatte der modische Miles einmal als Model ein Outfit nach dem Design Andy Warhols auf dem Laufsteg getragen und der Designer persönlich hatte hinter ihm die Schleppe gehalten.
Mit diesem Trio lassen wir die Grenzpfähle hinter uns. Hier öffnet sich eine erweiterte Welt, genauer gesagt Welten. Mir ist weniger bis gar nicht bewußt, was die beiden Lüschers in ihrem Leben getrieben haben, bei Björn Meyer habe ich eine ungefähre Landkarte. Und diese hat kaum einen Grenzpfahl. Keine Verwüstungen sind hier anzutreffen und keine Pogotänzer und keine sich mit Brachialgewalt auf das Publikum stürzende Death Metaller (außer ich irre mich). Diese Welten sind friedlich, freundlich, und erhaben. Und ja – ich verdopple den Ausruf –, weit, weit entfernt von jeder esoterisch angehauchten Süße, jenem diabetesfördernden Zuckerguß, dem zwischendurch auch ein Nick Cave erlegen war. Es ist das Edle in dieser Welt, das noch ist, das immer war und nie ausgerottet werden kann.
Drei in einem Boot. Walter Giller, Heinz Erhardt und Hans-Joachim Kulenkampff haben sich reinkarniert und schippern in ihrem Motorboot durch musikalische Landschaften, diesmal aber ohne jene Tollpatschigkeit, die die Originale vorgewiesen hatten. Die Töne sitzen mit handwerklicher Präzision an Lautkraft und Stimmung in diesem empfindlichen Gewebe aus erweiterter Jazzwelt.
Marcel Lüscher, der zwischen den Stücken mit viel Humor die Ansagen macht, scheint, sobald er zu Spielen beginnt, das Lockere etwas beiseite zu schieben, weil es die Komposition nicht mehr zuläßt, die Konzentration zu vernachlässigen. Nicht nur hält er dennoch seine Umgebung gut im Gesichtsfeld fest, auch verfolgt er sehr genau das Spiel seiner musikalischen Kameraden, wartet auf den besonderen Moment und spielt, oft wie eine Gestalt, die allmählich aus einem Nebel sichtbar wird.
Thomas Lüscher scheint eine Symbiose mit dem Tasteninstrument zu vollziehen. Nicht nur ist er der Pianist, er ist auch das Begleitorchester, das der Musik die Fülle in den mittleren Frequenzen gibt. Auch er ist Beobachter und wenn gerade nicht, eventuell nur äußerlich als ein solcher nicht sichtbar, dann steht er im intensiven inneren Dialog mit seinem Instrument und entlockt ihm die angemessenen Klangfarben und scheint zwischendurch auf die Antwort des Klaviers zu warten, dem Instrument die Ruhepausen zu gönnen, damit sie die Musik mit ihm zusammen entfalten kann.
Björn steht da in seinem eigenen Reich. Er läßt seinen Baß sprechen, er schreibt die Musik in seiner Seele und überträgt sie auf sein Instrument. Dann geht er baden. Im Schaumbad der Musik sprudelt er vor Vergnügen und lehnt sich zurück an den Badewannenrand, während um ihn herum die Noten wie Seifenblasen durch das All flottieren. Nie aber verliert er die Kontrolle und den Kontakt zur Kapelle. Der Meister ist Musiker und genußvoller Zuhörer zugleich.
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Dreimal Björn Meyer: 1998, 2007, 2023.
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Es gibt sie immer noch, diese vielfältige Musik in ihrer eigenen Unberechenbarkeit. Sie hat die 90s und alles überlebt, was an destruktivem Gebaren des sich elendig ausbreitenden Mainstreams unser Hörvermögen beleidigt hat. In ihrer paßwortgeschützten Meditationsklause, die nur für den Devotee des Hörens Einlaß erlaubt, gedeiht sie flott weiter. Die Jahre haben sie bereichert, die Technik ist für die Klangkünstler nicht stehengeblieben, das wissen die Musiker spätestens nach Eno und Anderson zu schätzen. Anything goes. Auch ein fußpedalbetriebenes Harmonium als Tanpura-Ersatz. Was für ein neungängiges musikalisches Menu wurde da serviert!
Das und viel mehr ist heute das, was einmal Jatzmusik war und im alten Berlin als Negermusik angeboten wurde. Die Rauchschwaden und die Huren sind verschwunden, aber Negermusik ist sie immer noch. Wer sich auf das Glatteis der Musik jenseits der Brit Awards begebt, ist immer der Neger, vor allem in der Tasche.
Musikanten, Veranstalter und Aufnahmeunhold
Ich hatte nicht wirklich gewußt, was mich erwartet. Ich kannte die Formation nicht und erwartete, mich eventuell zu langweilen. Wie manchmal in der Endphase von Joe Zawinuls Birdland in Wien, dem die Luft und das Geld ausging. Einmal mehr trifft man die Entscheidung, darauf zu verzichten, ein Konzertbesucher zu sein, weil man hinter der Technik sitzen will. Beides geht nie. Dafür hat man dann das Konzert mit nach Hause genommen. In diesem Fall bin ich nur ach so froh darüber und kann wärmstens darauf hinweisen, daß man diese Formation über ihre Websites weiterverfolgt.
https://www.bjornmeyer.com/
https://www.marcelluescher.com/
https://thomasluescher.net/
https://www.ecmrecords.com/artists/1435047352/bjorn-meyer
Der Aufnahmeunhold in der ersten Reihe. Weiß gehöhte
Sepiazeichnung. Edward, Februar 2023.

Unvermeidlich, vor lauter Enthusiasmus läßt man eventuell das Organisatorische etwas links liegen. Und überhaupt:
Ich suchte mir einen geeigneten Platz in der ersten Reihe, ich brauchte ja ein gutes Bild für das was ich auch immer aufnahm. Ich begann mit ganz vorne rechts. Damit hatte ich praktisch auf jedem Bild das grell leuchtende Notausgansschild präsent. Zweiter Versuch: Ganz links. Da wurde der Mikrophonständer für das Harmonium am Boden, der in die Höhe reichte und wieder nach unten ging, zum zentralen Objekt. Also ganz in die Mitte. Etwas zum Leidwesen von den hinter mir Sitzenden. Ja sicher, die Plätze links neben mir sind alle frei. Problem gelöst.
Die Kameras kamen niemand in den Weg, die Sony stand auf Bauchhöhe vor mir und noch etwas tiefer die GoPro Hero 11 auf ihrem eigenen kleinen Ständer. Ich lehnte mich zurück und stelle mich auf das festliche Erlebnis ein, nachdem ich mit bestem Wissen und Gewissen die Einstellungen gemacht hatte.
Man trifft ja (frei nach Heinz Erhardt) immer wieder alte Bekannte. So auch Barbara van der Meulen, die vor dem Konzert noch schnell ein paar Flaschen Mineralwasser und Kerzen verteilte und interessiert die Kameras ansah. Und fragte: «Ja, kann ich auch den Video sehen?» Geistestrunken antwortete ich spontan mit einem kurzen: «Natürlich
nicht.», begleitet von einem in der Stimme verborgenen Augenzwinkern, das leider übersehen wurde.
Nach dem Konzert kam natürlich der Herr Gemahl, der Nicolai zu mir und wollte wissen, was ich mir dabei vorstelle, der Veranstalterin zu verbieten, das Video zu sehen. Und überhaupt, ich würde mich so mir nichts dir nichts in den ersten Platz in die erste Reihe setzen und dort meine Kameras aufstellen, ohne zu fragen.
Lucio Marelli als musikalischer Leiter des Klosters (wenn ich da die richtige Bezeichnung habe) hatte mich vorher am Aufstellen gesehen, wir wechselten einige Worte und mir schien alles in Ordnung zu sein. Die Musiker waren ja auch einverstanden. Ich wähnte mich in Sicherheit. Und überhaupt: Jetzt haben alle ein langes Video, mit dem sie ein so phantastisches Konzert nachgenießen können. Das ist doch auch was.
Nein, ich bin nicht politisch korrekt. Das wär schlimm, das ist das letzte, was man sein sollte. Ich bin lieber ein kreativer Unhold ...
I think people need to be disturbed. But it's real life.
Judy Collins
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Damit ich das Video in der richtigen Reihenfolge und mit den richtigen Anmerkungen zusammenstellen konnte, mailte ich Björn um die Setlist. Das Mail ging ein wenig unter, weil es ihn gerade während einer Aufnahme erreichte. Also versuchte ich's beim Marcel. Und der schickte mir sogleich die handschriftliche Notiz. Björn wußte eh nicht mehr so recht, wo die Noten waren. Auch Musiker sind schwerbeschäftigt, nicht nur die Manager, die sie eventuell gar nicht haben.
Die Technik
Eine GoPro Hero 11 neben eine Vollformatkamera wie die Sony PXW-FS5 zu stellen, ist eine Zumutung. Generell gibt die 11er ein gutes Bild und schafft auch ein gutes Format, wenn auch mit der Einschränkung der einfachen Kompression (HEVC). Und gutes Licht braucht sie auch, sonst wird das Bild recht schwammig. Das ist aber hier zu erwarten.
Ich hatte versucht, die Framerates etwas in die Höhe zu schieben und war mit der FS5 auf 30 fps gegangen, was mir von der Hero 11 nicht geboten wurde, also ging ich da auf 50 fps. Fehler. Nach einer halben Stunde ging die GoPro wegen Überhitzung in den Winterschlaf. Ich würde es nicht wagen, eine Videokamera zu bauen, die sich wegen Überhitzung plötzlich abschaltet. Sicher: Sie ist überall dort zu gebrauchen, wo eine größere Kamera keinen Platz findet. 2012 hatte ich problemlos ein ganzes Konzert mit drei GoPros (und ein paar weiteren Kameras) gefilmt, keine einzige blieb stehen. Das würde ich von den heutigen GoPros auch erwarten. Wiederbelebung durch Neustart doch eingeschränkt erfolgreich.
Ich war auf UHD unterwegs, also 3840 x 2160 Pixel, mit beiden Kameras. Den Schnitt machte ich im DaVinci Resolve auf FHD, 1920 x 1080 Pixel. Ich wollte etwas mehr Spielraum in der Bildgestaltung haben, so konnte ich das Bild im FHD etwas vergrößern und einen Ausschnitt finden, der mir gefiel. Die Sony filmte mit XAVC QFHD und die GoPro mit HEVC Codec, die unterschiedlichen Formate brachte ich vor dem Schnitt mit dem Apple Compressor beide auf ein einheitliches Apple ProRes 422 HQ. Mit den Framerates ging ich einheitlich auf 25. Eventuell war diese Vorgangsweise nicht so ideal, was ein wenig Gestotter ergab. Oder aber ich muß mich näher mit dem Verschlußwinkel auseinandersetzen, der den Einfluß auf Motion Blur hat.
Stimmungslicht in allen Farben und Formen. Ich weiß, im Rahmen einer Veranstaltung wird als Erstes immer der Mischer geschlagen und danach der Beleuchter. Ich will auf keine Art und Weise die Leistung jener schmälern, die sich so viel Mühe machen, dem Publikum ein schönes Konzerterlebnis zu bescheren. Die Sony kam mit den vielen Farben halbwegs zurecht, die Hero 11 kam ins Schlabbern. Es zeigt sich immer wieder, Blau ist ein Widersacher für Videokameras, die in der unteren Preisregion liegen. Die Hero 11 ist da keine Ausnahme. Im intensiven Dunkelblau fängt sie furchtbar zu schmieren an. So ein Schmieren sieht man oft im Dunkel der Berichterstattung während Fernzuschaltungen.
Meine Auffassung ist: Jazz (wenn es sich nicht gerade um psychedelisches Fusion handelt) braucht gutes
gepflegtes nicht-gefärbtes Licht. Ideal: eine Kiste voller Analogscheinwerfer. Dann hat man das Licht, das man in der goldenen Ära des Jazz auf der Bühne antraf. Das hatte ich in diesem Fall nicht, also ging ich in der Nachbearbeitung auf Schwarz-Weiß. Auch nicht so einfach: Die relativ neutral beleuchtete Bühne gab ein anderes Schwarz-Weiß als die rot eingefärbte; die grüne Bühne wieder ein anderes etc. Zwischendurch hatte ich einen grünen Hintergrund mit hochroten Köpfen. Also wischen wir's vom Tisch, Black und White mußte her. Und es schaute traurig aus, auf die Dauer richtig deprimierend. Also griff ich zur einzigen Lösung, die mir in den Sinn kam: Chamois. Das war die Lösung.
Noch einmal: I love DaVinci Resolve. Schritt eins: Den ganzen Schnitt in Farbe machen, dabei nur auf die Helligkeiten achten, praktisch die Farbgebung so handhaben, indem man vorausdenkt, wie das ganze nachher im Chamois-Modus aussehen wird. Dann den fertigen Schnitt als Ganzes ins Chamois übertragen. Dazu kamen zwei Nodes auf der Color-Page zum Einsatz (Node-Fenster öffnen, oben rechts). Der erste Node diente dazu, Schwarz-Weiß zu erstellen. Diesem Node wird ein zweiter angeschlossen, der die Tönung definiert. Ist die Tönung zufriedenstellend, kann man auf der Darstellung des bearbeiteten Videobilds mit der rechten Maustaste einen Shot erstellen, dieser Zeigt sich im Fenster links. Diese Bearbeitung über die zwei Nodes kann dann als Preset abgelegt werden. Das ergibt eine «.dpx»-Datei. Automatisch wird ein «.drx» erzeugt. Beide aufheben! Die können nur miteinander existieren, wenn man auch nur das «.dpx» importiert, muß das «.drx» auch mit dabei sein. So gebrauchte ich die gleiche Tönung für jedes einzelne Konzertstück. Dann sah alles graphisch aus, photographiert. Solarisiert. Ich Man Ray.
Nodes im DaVinci Resolve, diese werden oben rechts ein- und ausgeschaltet. Ein Node macht ein Schwarzweißbild, Saturation ist auf null gestellt. Das zweite Node kommt nach dem ersten, erzeugt das Chamois, der Signalfluß geht dann in den Output. Die Einstellug mit allem drum und dran kann abgespeichert werden.

So beim Betrachten der Videobilder: Mein Dank geht an den Beleuchter, der mir so viele expressive Schatten und Schattierungen beschert hat. Es kommt mir vor, als hätte ich jedes Bild einzeln durch Entwickler und Fixierer gezogen.
Der Ton kam ganz bescheiden von der Sony, von den eingebauten Mikrophonen. Erstaunlich, was die FS5 so alles kann. Einzig und allein der zweite Teil von «Flowers Bending» war zu heftig, da kamen sich in der Sony die Lautstärke und die Vielfalt der Frequenzen in den Weg. Ansonsten brauchte es ja doch einiges an Nachbearbeitung. Dazu liefert die DaVinci Resolve Fairlight Page hervorragende Digitalwerkzeuge. Und ein kurzer Export in Logic und WaveLab hatte auch nicht geschadet. Für eine solche Bearbeitung empfehle ich die Abhöre über Yamaha HS8 Aktivboxen. Für Fernsehton kenne ich nichts besseres. Klar, brilliant und wunderbar präsente Bässe. Und für Videoton noch dazu ein gutes Gehör. Ich hoffe, daß ich hier der Musik annähernd gerecht geworden bin.
Eine Thomas Lüscher Hand. Zwei davon ergeben Fine Art Piano Playing.
