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GENRE Version 2.0 / 2020
62 Min. 20 Sek.
«Genre.
Ohne zu wissen, was in einem Film mit solch vorbelastetem Titel zu
erwarten ist, erwartet mich in jeder Minute des Film, mit jeder
Spulenwindung (oder war es doch digital..?) das Unerwartete.
Ein Road-Movie der ungewöhnlichen Art. Tag, Nacht, früher Morgen
verschmelzen ebenso wie Realität, Spiel, Sinn und Unsinn. Und immer:
die Suche nach und Verssuche zu Genre.
Musik, Besuche von und mit ungewöhnlichen Menschen, Diskussionen mit
oder ohne Sinnzusammenhang erwecken den Eindruck, daĂź der
Filmbesucher sich in eine private, fast verschlossene Welt Einsicht
erhält.
Doch stetig das Unerwartete, das mein Interesse wach hält. Was als
nächstes? Genre.»
Michaela Stähli, Wissenschaftliche Assistenz, LGK
Hochschule fĂĽr Gestaltung und Kunst Basel
Basel, März 2010
Die WelturauffĂĽhrung
der ungekĂĽrzten Originalfassung, Version 1.1 fand in der
Erlenstrasse 34 - 4058 Basel
am 13. Februar 2009, um 21.00 Uhr statt.
Der angefangene und
der vollendete Satz
VESSEL
Der Transportbehälter ist das Fahrzeug jener aus dem Volk, die sitzend von einem Ort nach Dort wandern wollen. Was aber nutzt der Behälter, wenn er leer ist und das Volk nicht wandert. Dann trifft man auf leere Waggons, mit niemand, der fahren will, lieber zuhause versteckt bleiben will, wo niemand die Gedanken sehen soll, weil sie Grund zur Scham sind.
SCHLECHTES ESSEN
Wie kann Speise, selbst wenn das Angebot der Gewürze so groß ist, daß ihre Packungen in Reih und Glied feilgeboten werden müssen, im Gegensatz dazu, wenn sie in einer kleinen Schachtel Platz hätten, wie kann Speise gut sein, wenn die Hand, die sie zubereitet, von minderer Qualität ist und der Geist, der sie führt, schwach und dunkel?
WENN DIE TORTE SCHON AUFGEGESSEN IST
Wenn die Torte schon aufgegessen ist: Alles war so schick, alles war erwünscht. Der Wunsch ist die Sache, die es zu erstreben gilt. Das Nachdenken über das Erstrebenswerte ist Meditationssache: Klettern auf dem Rücken unbekannter Berge in unbekannte Höhen. Das Andere ist Kreislauf im Tal, der mit Gebell kommentiert wird.
DER GEIST IST GESUND UND JUNG (Der Satz vollendet sich)
Gesundheit ist liebevoll gelebte Frau im Mann und hingebungsvoll vollzogener Mann in der Frau. Gedanke, Wort, Tat und Fühlen tragen heiteren Lippenstift. Das tägliche Klagen ergibt sich kurz vor dem Wach-Werden aus der Gewohnheit, lang jung in fröhlicher Bergwelt zu sein, im Tal mit den Fischen zu sprechen und nach deren Anleitungen Lichter zu erzeugen, die den Talweg markieren und schmücken. Erwachsensein bedeutet, diese Lichter zu schützen, damit Wind und Diebe ihnen nichts anhaben können. So betrachten die Fische aus dem Wasser hindurch die Lichter im Geäst und die Erinnerung an solch lange Jugend stellt unser kurzes Erdenleben in den abseitigen Bereich dessen, das nicht möglich sein sollte.
Die Texte im Film wurden von Christian Eitler vorgetragen.
Im Rahmen der Gespräche mit Stefan Fraunberger fiel auch der Begriff «Fairchild», eine Qualitätsbezeichnung, die ich vor einem Jahr noch nicht kannte.
Ambulante Anmeldung zur Genre-Behandlung. Ein gescheiterter Versuch, sich rasch heilen zu lassen. Gut Ding braucht a Woil. Auch die Genre-Therapie.
GENRE
Eine Arbeit der Wavingtree Gardens Internationale Filmproduktion
© 2009 Wavingtree Gardens
unter Mitwirkung von Edward Mickonis, Richard Budischowsky und Thomas Oswald
Musik: Franz Haselsteiner, Brigitte Bögner, Stefan Fraunberger und die Pepi Abicht Geburtstagscombo
Bitte eingedeutscht.
Ich verdanke die Imagerie dieses Videofilms der Energie und der unendlich sprudelnden Phantasie seiner Akteure und der von tiefer überzeugung getränkten Kommentare Richard Budishowskys.
Thomas Oswald
Genre-Betroffener
Die Aussage "Ich bin auch Gott, aber Religion Mensch." unterstreicht die mit berechtigtem fast indianischen Stolz gelebte überzeugung, ein Leben im Einklang mit der Natur und dem Universum nicht nur führen zu können, sondern auch zu müssen, um nicht das Gleichgewicht des Natürlichen zu verlassen.
Ernst und Humor fĂĽllen die LĂĽcken der Wahnnehmung mit Harmonie und Balance. Durch das ĂĽber-surrealisieren der Geschehnisse werden sie wieder realer und damit greifbarer. Mehr hat es nicht, wie ĂĽblich. In dieser Wahrnehmung heiĂźt es nun, sich zurechtzufinden. Also beginnen wir mit dem Grundimpuls:
Franz spielt Hammondorgel. Ihm verdanke ich die Rolle des GĂĽtigen und zwei Scheiben
schwarzen Toasts, die er aber netterweise im MistkĂĽbel begrub.
Die Windows-Mediendatenbank mit den digitalisierten CDs stand mir zur Verfügung. Ich brauche nur unter «Genre» nachschauen. Was mir auffiel, war die Aussprache des Wortes «Genre». Es schien sich unter den Österreichischen Usern ein neues eingedeutschtes Wort auszubreiten. Was ich nicht ahnte, war: Welche seelischen Problemen die missbräuchliche Verwendung eines Wortes auslösen konnte. Anscheinend wurden hier Kindheitstraumen ausgelöst, die ein jeder mit sich herumschleppte.
Das bewog mich, der Sache auf den Grund zu gehen. Freundlicherweise ließ mich der Betroffene selbst, Herr Thomas Oswald (der Name wurde aus verständlichen Gründen nicht geändert), seinen Krankheitsverlauf dokumentieren, bis hin zur Lösung über eine von Frau Dr. Sinowatz verordnete Musiktherapie. Aber der lange und komplexe Weg über Gespräche mit Freunden, der Besuch der Ambulanz des Badner Spitals und auch die Verzweiflung, die dem Betroffen ins Gesicht geschrieben ist – beim Anruf für einen Arzttermin während eines Anfalls von Zuckungen an der Kassa im Supermarkt – ist hier erschütternd festgehalten.
Sicherlich spielt in solchen fällen die Umwelt eine grosse Rolle, auch diese ist penibel dokumentiert, auf erschreckende Weise fördert das soziale Umfeld den Krankheitsverlauf.
Die Seelenqualen des Punschkrapferls
Nicht nur ist dieser Film ein Einblick in die seelischen Abgründe eines Leidenden, ebenso ist er ein kontemplativer, wenn nicht sogar ein meditativer Ausflug in das kulturelle Umfeld des Wiener und Niederösterreichischen Undergrounds, wie er schon seit vierzig Jahren besteht und sein Dasein gegenüber dem Mainstream behaupten muß. Ja, nicht nur das, innerhalb der kurzen Drehzeit von nur einer Woche war es mir beschert, nicht nur die wunderbar kristallinen (meist musikalischen) Zeichnungen dieser Schneeflocken, die vom Himmel des musischen Wirkens der Akteure gefallen waren, auf DV-Band festzuhalten, vielmehr gaben diese musischen Seelen noch weiter Gutes und Bestes, bescherten mir die Juwelen ihres talentierten Könnens mit größter Freizügigkeit.
Sowohl völlig – wenn auch metaphysisch anmutende – eins zu eins ernstzunehmende Aussagen der Künster sind hier collagenhaft festgehalten, als auch verspielt surreale Aktionen, die den wundersamen Alltag der (Underground-) Künstler ausmachen (und damit die Ersatzbefriedigung Fernsehen oder Politik unnötig machen). Gut gedüngt ist halb gewonnen.
FĂĽnfzig Jahre Pepi.
Die lange Nacht des Pepi Abicht: Doktor Trompeter.
Wedel und Kleintier.
Und diese Lebenshaltung, die all diese Aktionen ermöglichen, führt uns auch schon zu einer Grundhaltung des «Wieners», einer – von außen hin zumindest so erscheinenden defaitistischen Haltung, die die Aussage des Lieben Augustinischen Spruchs «Alles ist hin.» nur allzusehr zu unterstreichen und zu bestätigen scheint, des Satzes, der in einem Moment ausgesprochen wurde, als Augustin dank seines Vollrausches (und damit der dem Alkoholpegel zu verdankenden Immunität gegenüber der damaligen Pest) gesund und uninfiziert auf der Spitze eines Haufens von Pestleichen aufwachte, wenn auch verkatert.
Die Vergänglichkeit des Daseins, wie auch die Komplexität und die generell ohne telephatischer Fähigkeiten nicht zu durchschauende Struktur von dem, was uns umgibt, zeigt sich zum Beispiel in der Szene mit dem bellenden Hund, der sich von meinem Anblick im weißen Mantel filmend im Wald gar nicht erholen konnte. Dennoch schien er immer wieder von Erinnerungen unterbrochen zu werden. Insofern, Frage: Haben Hunde eine solche Erinnerung wie wir Menschen, eine, die flashartig selbst in Momenten erregter Beschäftigung auftaucht?
Die Qualität von Speisen und ihr metaphysischer Wert, die schnelle Vergänglichkeit einer Sachertorte, schon gegessen, schon fast wieder vergessen, die lose Verknüpfung des Transits, per Bahn, die Verspätung hat, Menschen, die das Warten mit Hin- und Hergehen und mit Geprächen verbringen, der nächtliche Gang auf das Klo im Gang mit seinem Blick durchs Klofenster in die Dunkelheit im Wiener Hinterhof: die Liste der kleinen Ereignisse ist endlos.
Insofern hat die kleine Videokamera wieder einmal dafür gesorgt, die Aufmerksamkeit gegenüber all der vielen verspielten Situationen denen wir im Alltag begegnen (sollten) um einiges zu erhöhen: eigentlich hat sie die Funktion eines parametrischen Equalisers für Situationen übernommen, denn dieser wählt eine Frequenz an, definiert die Bandbreite und verstärkt dann. Eigentlich ist es so etwas wie eine Selbstoszillation (in unserem Fall war das eine Selbstossilation).
So symbolisiert "der Verschleierte" die
sogenannte Unbekannte: "Lebensspanne",
die uns bis zum Tod begleitet, nach
Yogi'scher Ansicht in AtemzĂĽgen
gemessen.
Ganz erst zu nehmen sind im Rahmen des Surrealen die Hintergründe; das, was alle, die mit diesem Film zu tun haben, gemeinsam haben: das Suchen nach dem Sinn des Lebens, wenn nicht sogar das Finden des Sinnes des Lebens. Sei es über Mystik, Tradition, Ritual oder Sagenwelt. Wie läßt es sich sonst erklären, daß ein Stefan Fraunberger die Mühsal auf sich nimmt, eine Reise über den Landweg von Wien nach Delhi zu machen, quer durch die Türkei, durch den Iran und durch Pakistan? Und so finde ich auch das mehrbändige (täusche ich mich nicht, fünfzehnbändige) Werk eines arabischen Gelehrten in seiner Wohnung, zwar eigentümlicherweise mit türkischen Titel, aber Inhalt auf arabisch, über die Handhabung der Kunst im Lichte des Islam. Kein politisches Buch, sondern ein mystisches, so wie auch der Koran ein mystisches Buch ist, das sich nur mit den Poetenaugen des Dichters entschlüsseln läßt. Doch: der Film ist ein Vexierbild, die Illustrationen zu Stefans auf arabisch gehaltenen Vortrag passen nicht unbedingt zum Inhalt, doch das merken wir nicht und versehen so – manipuliert durch die Einblendungen – den Film mit einem anderen Inhalt, als er tatsächlich hat.
Natürlich, die Leiden an der Genre-Krankheit vermag hie und da dem Zuschauer (dem zugeschaltetem Schauer) ein leichtes Schmunzeln zu entlocken, und doch ist es nicht nur Klamauk, nicht nur Satire, nicht nur Leerlauf, sondern auch das Dokument der Suchenden. Alle, die mitwirken, haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben auf individuelle Art zu lösen. Die meisten Mitwirkenden sind in diesem Fall auffälligerweise Musiker: gut, das hat damit zu tun, daß die aufnahmen praktisch als Spinoff davon entstanden, daß ich unterwegs war, um einerseits neue musikalische Klänge einzufangen, aber auch bereits bestehende Aufnahmen zu ergänzen.
Eine wahre Fundgrube an Weltraumklängen
und Designer-Klangmaschinen: die Ausstellung
«Zauberhafte Klangmaschinen» in Hainburg.
Wie es einer vernünftigen Werbung im Internet entsprechen sollte, entdeckte ich dank dieser über die von den Suchmaschnen registrierte Website – zu meiner übergroßen Freude – die Ausstellung Zauberhafte Klangmaschinen des IMA (Institut für Medienarchäologie) in der Kulturfabrik Hainburg. So wurde kurzerhand ein Ausflug in den Bereich maschinelle Klangerzeugung angesagt. Und wie es dem Schwung und Elan des Filmteams entsprach, wurde auch aus diesem Ausstellungsbesuch unverhofft eine Filmsequenz. Es ist natürlich absolut verführerisch, aus diesen sonst unzugänglichen Klangerzeugern, wie der dort ausgestellten Lichtorgel, allerlei psychedelische Klänge zu entlocken und diese noch mit einer eingefärbten Videosequenz aus dem Fernrohr auf dem Balkon der Kulturfabrik zu ergänzen. Auch die röchelnden Atemgeräusche aus dem Kehlkopfsimulator trugen zur illustration des Krankheitsbildes "Genre-Syndrom" bei.
Dieser Film ist natĂĽrlich auch
fĂĽr junge Damen geeignet,
soweit sie aus einem als stabil zu
bezeichnenden Elternhaus stammen,
ansonsten ist der Besuch des Films
nur mit kompetenter Begleitperson
anzuraten.
Die Arbeiten zum Film verliefen wie ein energetischer Impuls mit einer ADSL-Kurve (Attack, Decay, Sustain, Release). Irgendwann ließ der Impuls nach und machte Nüchternheit platz. Doch zum Glück ist eine Videokamera ein Aufzeichnungsgerät: damit kann man diese Impulse, wenn auch modifiziert, beim Betrachten des Videos neu erleben. Der Film ist wie Privatgrund, den man auf einer Wiese im kleinen Park vor dem Bahnhof findet, auf dessen Steig eine junge Dame beklagt, daß sich jetzt am Ort ihres Lieblingslokals eine blöde Sushibar befindet. Bei genauerer Beobachtung ist sicher festzustellen, daß sie von den Erziehungsbeauftragten (und alle Erwachsenen unserer Gesellschaft betrachten sich als Erziehungsberechtigte) nicht ernst genommen wird. Kunststück ergibt das eine Generation von Menschen, die alle unter Fehlfunktionen leiden. Nehmt meine Worte ernst. Hinter diesem Witz beginnt der Ernst des Lebens. Jeder könnte früher oder später vom Genre betroffen sein.
©2008 Wavingtree Gardens / Jede Reproduktion nur mit ausdrĂĽcklicher Genehmigung
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